Tanz der Sinne
schlaue Jane ließ sich die Post bestimmt nicht nach Hause schicken. Aber vielleicht gab die Adresse ihm irgendeinen Hinweis.
Da er in der Zwischenzeit nichts mehr tun konnte, wandte er seine Gedanken dem Phantom zu. Ein französischer Spion war wichtiger als eine verwirrende junge Dame.
Das sagte ihm sein Verstand. Sein Herz widersprach.
In ein farbloses Cape gehüllt und eine tiefe Haube auf dem Kopf, betrat Kit den Gemüseladen. Die Besitzerin, eine stämmige, ältere Frau mit freundlichem Gesicht, war mit einer anderen Kundin beschäftigt, aber sie schenkte Kit ein rasches Willkommenslächeln.
Kit machte sich am Gemüse zu schaffen, bis die andere Kundin gegangen war. Dann sagte sie:
»Guten Morgen, Mrs. Henley.«
»Schön, Sie wiederzusehen, Miss. Is’ schon lange her«, sagte die andere Frau. »Was darf’s heute sein?«
»Ein Dutzend Lauchstangen, bitte, und zwei Pfund von dem Rosenkohl.« Während Mrs. Henley das Gemüse abwog, murmelte Kit: »Vielleicht kommt jemand hierher und fragt nach L.J. Knight.
Vermutlich ein sehr charmanter, redegewandter Gentleman.«
Mrs. Henley erwiderte: »Keine Angst, Mädchen, von mir erfährt er nichts.«
»Je weniger Sie sagen, desto besser. Er ist ziemlich schlau.«
Ein anderer Kunde betrat den Laden, und Mrs.
Henley sagte mit lauterer Stimme: »Möchten Sie nicht ein paar von den Orangen, Miss? Sie sind ein bißchen teuer, aber sehr süß.«
»Die sehen wirklich gut aus«, bestätigte Kit. »Ich nehme sechs davon.«
Als die Orangen in ihrem Korb lagen, reichte sie der Frau das Geld für ihren Einkauf. Zwischen den Münzen versteckt lag eine Goldguinee. Leise sagte sie: »Das ist für die Unkosten. Ich möchte die Post jetzt gerade nicht selber abholen. Könnten Sie sie mir schicken?«
Mrs. Henley lächelte ihr verschwörerisch zu und steckte das Geld ein. Dann wandte sie sich ihrem neuen Kunden zu.
Kit verließ den Laden. Sie hätte Lucien –
Strathmore, ermahnte sie sich streng – niemals soviel verraten dürfen. Natürlich war nicht alles wahr, aber sie glaubte nicht, daß er lange brauchte, um die Spreu vom Weizen zu trennen.
Vielleicht fragte er in dieser Minute Leigh Hunt aus, und das würde in direkt zu Mrs. Henleys Laden führen.
Außerdem würde er, wie sie vermutete, wütend über ihren Betrug sein. Wie ironisch, daß sie, die immer eine Leidenschaft für die Wahrheit empfunden hatte, jetzt so viele Lügen erzählte, daß sie sie kaum noch auseinanderhalten konnte.
Daß sie keine andere Wahl hatte, machte die Sache nicht wesentlich besser.
Mit einem Seufzer schob sie ihre Bedenken wegen Strathmore beiseite. Es wurde Zeit, daß sie an das dachte, was sie heute nacht vorhatte. Es hatte keinen Sinn, sich unnötig aufzuregen.
Lucien war nicht überrascht, als er feststellte, daß Frith Street Nr. 20 eine Kombination aus Gemüsehandlung und Poststelle war. In einem ständigen Strom überwiegend weiblicher Kunden war es ein leichtes für Jane, unauffällig ihre Briefe abzuholen.
Als die Kundinnen merkten, daß ein Mann – nicht nur das, sondern offensichtlich ein Mann von Stellung und Wohlstand – den Laden betreten hatte, warfen sie einander nervöse Blicke zu. Eine nach der anderen beeilte sich, ihre Einkäufe zu erledigen und zu gehen, wenn auch nicht ohne einen gründlichen Blick auf den Eindringling. Er stand gelassen da, die Hände über dem Stockknauf gefaltet, aber insgeheim amüsierte er sich über die Tatsache, daß seine bloße Anwesenheit ausreichte, einen Laden zu leeren.
Als die anderen Kunden gegangen waren, wandte die Händlerin sich ihm zu, ohne angesichts des eleganten Herren zwischen den Körben mit Rüben und Kartoffeln Überraschung zu zeigen.
Höchstwahrscheinlich hatte Jane sie vorgewarnt.
»Was kann ich für Sie tun, Sir?« fragte die Frau.
»Ein paar schöne Orangen vielleicht?«
Zu seinem Bedauern sah sie nicht bestechlich aus.
Er würde sich seine Informationen erschleichen müssen. »Ich bin auf der Suche nach meinem Onkel. Ein reizender alter Knabe, aber nicht mehr ganz klar im Kopf. Gelegentlich reißt er von zu Hause aus. Angeblich hat er diesmal eine Wohnung in Soho gemietet und läßt sich seine Post dahin zuschicken. Seine Name ist L.J. Knight.
Holt er seine Post hier ab?«
Sie sah überrascht aus, als ob sie eine andere Frage erwartet hätte. »Der Name klingt irgendwie vertraut, aber ich kann kein Gesicht damit verbinden.«
Lucien schenkte der Frau ein entwaffnendes Lächeln. »Darf ich ehrlich zu
Weitere Kostenlose Bücher