Tanz der Sterne - Unter dem Weltenbaum 03
den Drang verspürt, allein über die Pfade von Awarinheim zu laufen? Dort herumzuirren, bis die Schmerzen in Eurem Körper und in Eurem Kopf Euch um den Verstand bringen? Bis Ihr verwandelt seid? Fühlt Ihr diese Veränderung schon, Ramu? Wißt Ihr, was mit Euch geschieht?
Aschure lehnte sich seufzend zurück. Sie beneidete Faraday sehr. Nicht nur besaß sie Axis’ Liebe, sie spielte auch eine bedeutende Rolle in der Prophezeiung, und eines Tages würde die Baumfreundin an die Seite des Sternenmannes finden. Aschure mochte für den jungen Mann ebenfalls Zuneigung empfinden, aber sie wußte genau, daß ihre Gefühle niemals erwidert werden würden. Axis würde sein Leben nicht mit ihr teilen wollen. Faraday und er waren die großen Helden der Weissagung, und sie erwartete großer Ruhm und Unsterblichkeit in den Sagen der Völker. Aschure selbst war dagegen nur eine verlorene junge Frau, die vor Angst nicht ein noch aus wußte und dazu verdammt war, ohne richtiges Heim und ohne Mann, der sie liebte, bis ans Ende ihrer Tage umherzuirren.
Am nächsten Morgen verließ die Gesellschaft die Berge und näherte sich Awarinheim.
Fünf Tage vor Beltide verschwanden die Schweine aus Sigholt.
Traurig stand ihr Hirt da und sah zu, wie die fünfzehn Tiere, die ihm dreitausend Jahre lang treue Gefährten gewesen waren, trippelnd und grunzend über die Brücke fortzogen. Jack hatte immer schon gewußt, daß sie ihn eines Tages verlassen würden und er nichts daran zu ändern vermochte. Und welch besseren Moment hätten sie sich aussuchen können als diesen, da die Prophezeiung zum Leben erwacht war und sich stetig über das Land ausdehnte?
Doch in seine Trauer mischte sich auch Aufregung. Die Schweine verließen ihn nur, weil sie gerufen worden waren.
Drei Tage lang trottete das Borstenvieh über den Paß und hielt nur an, um zu rasten oder zwischen den Felsen nach etwas Freßbarem zu schnüffeln. Aber sie verschwendeten nicht viel Zeit mit der Nahrungssuche. Schon bald erwartete sie köstlichere Speise als hartes, wetterzerzaustes Gras, das nur bei großem Hunger schmeckte und wenn sich nichts anderes finden ließ.
Am vierten Tag hatten die Schweine den Paß hinter sich gebracht und wandten sich nach Nordosten. Noch einen Tag und eine Nacht liefen sie weiter.
Als an Beltide die Abenddämmerung hereinbrach, verwandelten sich die Tiere. Ihre Gliedmaßen dehnten sich, ihr Rumpf wurde länger und bedeckte sich mit Fell. Die Zähne wuchsen und glänzten im Mondlicht und die Lippen waren wie zu einem Grinsen verzogen.
Als der Mond hoch am Himmel stand, trabten sie geräuschlos auf ihren langen Beinen voran. Die Wesen würden erst dann heulen, wenn sie die Witterung aufgenommen hatten, auf die sie schon so lange warteten.
Über ihnen strahlte der Mond in aller Pracht und beleuchtete ihren Weg.
15 B ELTIDE
Auf dem letzten Stück zwischen den Berghängen und den Lichtungen Awarinheims näherte sich Axis Aschure. »Was haltet Ihr eigentlich von diesen Awaren?« wollte er von ihr wissen.
Die junge Frau dachte kurz nach. »Sie leben recht zurückgezogen und verhalten sich gegenüber Fremden scheu. Die Waldläufer lieben den Frieden so sehr, daß sie jedem mißtrauen, der schon einmal zum Mittel der Gewalt gegriffen hat.«
Der Krieger nickte. Wenn die Awaren schon eine Frau ablehnten, die am gewaltsamen Tod ihres Vaters beteiligt gewesen war, wie würden sie dann erst dem ehemaligen Axtherrn der Axtschwinger begegnen?
»Die Waldläufer nehmen Fremde nur sehr zögernd auf«, fuhr Aschure schon fort. »Wirken regelrecht schüchtern. Jahrhundertelang sind sie von den Ebenenbewohnern verfolgt worden, wie sie …« Beinahe hätte sie »uns« gesagt. »… die Achariten nennen. Deswegen leben sie in ständiger Furcht. Einerseits behaupten sie, Gewalt in jeglicher Form zu verabscheuen, und gleichzeitig … andererseits …« Die junge Frau suchte nach den passenden Worten.
»Geht von ihnen eine Aura der Gewalt aus?« kam Axis ihr zu Hilfe.
Sie sah ihn erschrocken an. »Ja, ganz recht. So hatte ich das noch gar nicht gesehen. Aber wenn ich recht darüber nachdenke … ja, genau so verhält es sich. Zum Beispiel unterziehen sie ihre Kinder einer schrecklichen Probe, um festzustellen, ob die Gabe der Magie in ihnen schlummert. Aber dabei kommt so manches Kind ums Leben. Und bei bestimmten Gelegenheiten können ihre Zauberer sehr bedrohlich auftreten. Als ich noch ein Kind war und in Smyrdon lebte, liefen mir eines Tages Rivkah, ein
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