Tanz der Verführung
Gesicht. So sanft wie Linfords Berührung. Sie wehrte sich gegen die Gefühle, die die Erinnerung an ihn in ihr hervorrief: Angst, Neugierde, Verlangen.
Ja, ein beschämendes Verlangen.
Die Zweige der Bäume über ihr raschelten. Flüsterten. Sie bemühte sich, ihnen zuzuhören. Atmete den Duft der feuchten Erde, der Sumpfpflanzen und des zerdrückten Grases ein. Ließ die friedvolle Aura, die den Weiher zu umgeben schien, in sich hineinströmen. Die uralten Geister dieses Ortes verstanden sie. Die Tränen um ihre Eltern waren in dieses klare Wasser getropft und hatten ihre Seelenqualen gelindert. Hier hatte sie so lange getanzt, bis sie dem nächsten Tag wieder begegnen konnte. Und hier würde sie einen Weg finden, wie sie Rudd helfen konnte.
Sie stand auf, öffnete das Band, das ihre Haare zusammenhielt, und löste ihren Zopf. Dann kletterte sie das Flussufer zur Wiese hinauf und streckte ihre Arme der Sonne entgegen, wie sie es immer tat. Mit weit gespreizten Fingern drehte sie sich wie eine Ringelblume im Wind. Wie die Grashalme schwang sie hin und her. Neigte sich wie die Veilchen, die sich im Schatten der Eiche wiegten. Die Gräser strichen um ihren Rock. Sie streckte sich. Beugte sich. Drehte sich.
Ihr Haar wand sich um ihren Hals. Ihr Atem ging rascher. Ihr Kopf wurde frei, um das weise Vermächtnis der Waldlichtung in sich aufzunehmen.
Sie drehte sich schneller, bog sich und wirbelte herum, bis sich ihre Brust unter dem heftigen Atem zu verengen begann.
Doch Erleuchtung kam nicht.
Eher war es Verzweiflung, die wie ein verlorenes Kind aus ihr herausschrie. Sie presste eine Hand auf ihre Rippen und taumelte zu der Stelle, an der die Veilchen wuchsen. Dort kniete sie nieder, pflückte mit zitternden Fingern die duftenden violetten Köpfchen und steckte sie in die Stofftasche, die um ihre Hüfte hing. Später wollte sie aus dem Blütenextrakt Duftwasser machen, um ihren Geist zu beleben und die Traurigkeit zu mindern, die ihr Herz erstickte.
Sie durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Irgendwann würde die Antwort von ganz allein kommen. Sie musste nur zur Burg zurückkehren, Henry aufsuchen und einen neuen Plan schmieden. Sie durfte nicht eher ruhen, bis sie eine Lösung gefunden hatte.
Rexana wischte sich die Finger an den Falten ihres Rockes ab, stand auf und zog ihre Schuhe an. Schlamm hatte sich am Saum ihres Kleides festgesetzt. Eine lächerliche Kleinigkeit im Vergleich zu Rudds Schicksal. Sie blickte ein letztes Mal zum Weiher hinüber, dann glitt sie in den Wald, der die Lichtung umgab, und lief zur Burg zurück.
Kurz darauf schlich sie durch die Hintertür in den Burghof. Ihre Anspannung löste sich ein wenig. Vielleicht hatten Henry und die Männer in der Zwischenzeit schon einen Plan geschmiedet. Sie scheuchte die Gänse weg, die sich in die Nähe des Eingangs gewagt hatten, dann verschloss sie die Tür wieder, winkte den Jungen zu, die den Schweinen die Küchenabfälle zuwarfen, und lief weiter zur Burg.
Nach ein paar Schritten kam eine Magd auf sie zugerannt. »Mylady.« Das Mädchen strich seine Schürze glatt und machte einen Knicks. »Henry hat Euch überall gesucht. Ein Lord ist vor kurzem hier eingetroffen. Er will mit Euch sprechen.«
Ein plötzliches Gefühl der Furcht durchschoss Rexana. Hatte Darwell beschlossen, ihr einen Besuch abzustatten und sie über den gestrigen Abend auszufragen?
Oder, Gott stehe ihr bei, war etwa Linford gekommen?
Sie versuchte so gelassen wie möglich zu klingen. »Wer ist dieser Lord?«
Die Magd schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Mylady. Henry hat es mir nicht gesagt, er hat mich nur am Arm gepackt und mir befohlen, Euch so schnell wie möglich zu finden. Der Besuch bringt Neuigkeiten von Lord Villeaux.«
Rexana wurde schwindelig. Linford hatte bestimmt Neuigkeiten von Rudd. Doch mittlerweile musste sich dessen Verhaftung bereits in den Adelsfamilien von Warringham herumgesprochen haben. War dieser Lord etwa ein Verbündeter ihres Vaters oder von Rudd, der seine Hilfe anbot? Konnte dieser Lord vielleicht die Antwort geben, nach der sie so verzweifelt suchte?
»Wo ist unser Gast?«
»Im großen Saal, Mylady. Er wartet.«
»Danke.« Sie hob den Saum ihres Rockes an und rannte durch den Außenhof. Staub wirbelte um ihre Füße. Als sie auf die Ställe zulief, strich sie mit den Händen über ihr zerzaustes Haar. Eigentlich hätte sie sich umkleiden und ihre Zöpfe neu flechten müssen, doch sie durfte ein so wichtiges Treffen auf keinen Fall
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