Tanz des Lebens
hastigen Zügen berichtete sie, dass es schon vor ein paar Tagen passiert war, als sie noch in England bei ihrer Mutter war und dass es gestern Abend ausgebrochen war, als das entsetzliche Fieber einsetzte. Liams mitleidiger Ausruf wurde von Quins ironischer Stimme unterbrochen.
»Nichts für ungut, Luke, nimm es nicht persönlich. Aber warum sollte ein Nat-Dämon Interesse an einem blinden Jungen haben, der ihm in keinster Weise nützlich sein kann?« Er hatte sein T-Shirt ausgezogen und griff nach einem Handtuch. Heftig rubbelte er über sein schweißnasses Haar und seinen Oberkörper. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als Faye empört aufsprang.
»Wie kannst du dir anmaßen zu wissen, welcher Mensch etwas wert ist«, schrie sie ihn wütend an.
»Faye«, sagte Liam beschwichtigend und trat mit einem sanften Lächeln auf sie zu. »Mein Bruder meint es nicht so. Manchmal hat er Mühe, sich richtig auszudrücken. Was er meinte ist, dass ein Nat, wenn es keinen besonderen Grund gibt, nur ungern in äh …, in nicht so perfekte Menschen eindringt.«
»Weil meine Blindheit sie behindern würde«, vollendete Luke seinen Satz, wobei er tastend sein Teeglas zurück auf den Tisch setzte. Vorsichtig nickte Liam ihm zu, bis ihm einfiel, dass er das nicht sehen konnte.
»Ja, Luke, so ähnlich. Dämonen vermeiden es nach Möglichkeit, in die Körper von kleinen Kindern, Behinderten oder Tieren einzudringen. Im allgemeinen bevorzugen Sie gesunde Menschenkörper mit einem voll entwickelten Verstand, damit sie, wenn sie von ihnen Besitz ergreifen, eine komplikationslose Kontrolle haben.«
Eine leichte Hoffnung glomm in Fayes Herzen auf. »Dann ist es also nicht normal, dass sie meinen Bruder mit dem Geistersiegel gebrandmarkt haben?«, fragte sie zögerlich.
»Sensationelle Beobachtungsgabe«, stellte Quin hämisch grinsend fest. »Darauf kannst du deinen Arsch verwetten.« Achtlos warf er das Handtuch zu Boden und Faye zuckte verstört zusammen.
»Was Quin sagen wollte, ist, dass es sehr ungewöhnlich wäre und nicht ihrem normalen Beuteschema entspricht.« Liam untermalte seine beängstigenden Worte mit einem beruhigenden Lächeln und legte ihr dabei zaghaft einen Arm um die Schulter. Mit zusammengepressten Lippen wandte Quin sich um und griff nach einem sauberen T-Shirt, das über der Stuhllehne am Esstisch hing. Er zog es sich ruckartig über dem Kopf, bis es auf der immer noch feuchten, schweißnassen Haut seines Rückens kleben blieb.
Verlegen blickte Faye zur Seite, als er an dem Shirt zerrte. Die Sorgen um ihren Bruder schienen sich anscheinend auf ihre Hormone auszuwirken. Als ehemalige Cheerleaderin der Monterey Toreadores hatte sie nach den Spielenden auf dem Feld schon hunderte Jungen beim traditionellen Trikotwechsel ohne Oberteil gesehen. Warum also spürte sie jetzt eine glühende Hitze in ihren Wangen aufsteigen, nur weil ihr Blick seinen nackten Oberkörper gestreift hatte?
»Vielleicht verrätst du uns erst mal, woher du so viel über Nats und ihre angeblichen Siegel zu wissen meinst«, schlug Quin vor und trat dabei gefährlich nahe auf sie zu. Faye versuchte das spöttische Funkeln in seinen dunklen Augen zu ignorieren. Tapfer widerstand sie der Versuchung, einen Schritt zurückzutreten, zumal sie auch Liams neugierigen Blick auf sich spürte.
»Nun ja.« Sie senkte den Blick auf den Boden und versuchte ihrer Stimme einen resoluten Klang zu geben, als sie sich an Liam wandte. »Ich weiß, dass Nat-Geister übernatürliche Wesen sind. Sie können sowohl beschützen, als auch Unheil und Tod bringen.«
»Verstehe.« Auf Quins Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck und er betrachtete sie wie ein lästiges Insekt, das es wagte, in seiner Gegenwart zu atmen. »Und das alles weißt du woher ?«
Faye atmete tief durch und betrachtete ihn danach ihrerseits grimmig, bevor sie zu einer Antwort ansetzte. »Das weiß ich von meinen Eltern, die beide Archäologen sind. Luke ist hier in Kalifornien zur Welt gekommen, aber ich bin in Burma geboren. Dort haben meine Eltern vor sechzehn Jahren die verschollene Pagode der sagenumwobenen Priesterin Soy Yi entdeckt.«
»Deine Mutter war hochschwanger bei dieser Ausgrabung anwesend?« Die Verblüffung stand Liam ins Gesicht geschrieben. So ging es allen, die Violet Hamilton nicht kannten.
»Ja. Sie war nicht nur anwesend, sie war auch die Leiterin dieses Projekts. Meine Mutter wollte sich auch als Hochschwangere den Ruhm nicht nehmen lassen und hat damals noch kurz
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