Tanz des Lebens
eine gesichtslose Gestalt mit karamellfarbenen Augen wahr, die eine lockende, verführerische Wärme und Güte ausstrahlte, zu der sie sich hingezogen fühlte. Doch als sie sich in einem letzten, verzweifelten Versuch gegen die herannahende, ewige Bewusstlosigkeit wehren wollte, sah sie die andere, die dunkle Version.
Kalte, auralose schwarze Augen, die ihr die Kraft zum Atmen nahmen. Ihr Körper fühlte sich seltsam losgelöst und schwerelos an. Wie aus ferner Vergangenheit nahm sie den Klang einer Stimme wahr, konnte aber die Worte nicht verstehen …
Schweißgebadet schreckte Faye hoch und sah sich in ihrem Zimmer um. Sie wusste, dass sie den Schlaf eigentlich dringend benötigte, doch daran war jetzt nicht mehr zu denken. Sie konnte nicht mehr einschlafen. Langsam setzte sie sich auf und stopfte das Kopfkissen hinter ihren Rücken.
Im letzten Jahr, in den ersten Tagen in ihrer Verbannung, hatten die Alpträume angefangen. Kurz bevor sie auf Moms Wunsch hin – gezwungenermaßen – für ein Jahr nach England verbannt worden war. Die Träume handelten immer vom gleichen Ereignis. So oft sie den Alptraum auch schon geträumt hatte – er erschreckte sie immer wieder zutiefst. Und das Seltsamste war, dass die Person, die sie anschrie, kein Gesicht hatte.
Sie besaß lediglich eine Präsenz und löste panische Angst in ihr aus. Wenn der Traum sie am Tage überfiel, so wie heute Nachmittag geschehen, versank sie jedes Mal in diese mysteriöse Ohnmacht, aus der sie irgendwann vollkommen geschwächt und mit den unerklärlichen Flammenpunkten erwachte und sich an rein gar nichts mehr erinnern konnte.
Mittlerweile kannte sie das Gefühl ziemlich gut, in einen schwebenden Ozean einzutauchen und dann ohne Lebenskraft wieder aufzuwachen. Müde sah sie aus dem Schlafzimmerfenster und beobachtete versunken den Vollmond. Dann beschloss sie, an etwas anderes zu denken. Morgen musste sie sich um Lukes Problem kümmern und das hatte sie auch vor zu tun.
5
Meergrüne Jade
A n der weiß gestrichenen Haustür hing ein kreisrunder Türöffner aus massiver Jade. Zögernd ergriff ihn Faye und ließ ihn gegen die Tür fallen. Der dunkle Ton echote durch das gesamte zweistöckige Haus. Nichts – keiner öffnete.
»Komm Schwesterchen, lass uns wieder zurückfahren«, flehte Luke leise. »Ich weiß sowieso nicht, was wir hier wollen. In dieser Gegend war ich noch nie im Leben. Ich sehe zwar keinen verfluchten Zentimeter, aber ich fühle mich unwohl. Irgendetwas ist hier, das mir Angst macht.«
»Oh Luke«, flüsterte Faye ebenso leise zurück. »Shiva hat gesagt, dass diese Leute dir helfen können. Ich setze hier keinen Fuß von der Schwelle, ehe sie das verdammt nochmal nicht getan haben. Komm mit!«
Rigoros zog sie ihn hinter sich her und dirigierte ihn zu einer Bank, die neben dem Eingangsportal stand. »Setz dich hierhin und bewege dich nicht von der Stelle«, befahl sie zitternd. Zwar waren alle Instinkte und Zellen in Fayes Innerem auf Flucht gepolt, aber sie kämpfte darum, es vor ihrem Bruder zu verbergen. »Okay, das ist der Plan: Du wartest hier und ich sehe mich ein wenig um.«
»Pass aber auf«, flüsterte Luke ängstlich zurück. Mit einem Nicken verschwand Faye um die Ecke. Das zweistöckige Holzhaus war rundherum von einer großflächigen circa vier Quadratmeter breiten, überdachten Terrasse umgeben und lag versteckt hinter einer meterhohen Ligusterhecke. Am anderen Ende hörte sie ein rhythmisches Zischen. Sie blieb stehen und lauschte. Dankbar, dass sie sich heute Morgen für ihre Sneakers mit Gummisohle entschieden hatte, schlich sie leise weiter – und blieb kurz darauf ruckartig stehen.
Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Veranda, ihre Strahlen brachen sich auf einem braungebrannten Körper und spiegelten sich in goldenen Prismen in den Schweißtropfen seiner gestählten Muskeln. Faye erkannte ihn sofort wieder, da ihr Herz schon wieder stakkatoartig klopfte – es war Quin. Er stand barfuß, mit gespreizten Beinen in einem großen Kreidekreis, hieb mit seinen Armen kraftvolle Schläge in die Luft, als kämpfte er mit einem unsichtbaren Schattengegner. Schließlich schwang er einen silbernen Dolch über seinen Kopf und warf ihn mit enormer Kraft von sich.
Die Klinge flog zischend durch die Luft und bohrte sich in den etwa drei Meter entfernt hängenden Sandsack. Faye schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Auch aus der Distanz wirkte alles an diesem Jungen wild und gefährlich. Lautlos
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