Tanz des Lebens
flüsterte er ihr zu. »Ich möchte, dass du mir jetzt gut zuhörst, denn ich werde meine Worte nicht noch einmal wiederholen. In meinem Leben existiert das Wort Mitgefühl nicht. Und ich werde weder dir noch Luke erlauben, meinen Bruder auszunutzen. Wir können euch nicht helfen! Liam hat genug eigene Sorgen. Er hat auch ein Siegel und damit weder die Zeit noch die Kraft, sich auch noch um euch zu kümmern. Also lass ihn in Ruhe!«
»Und du entscheidest, wer leben oder sterben darf? Niemand verdient es, so grausam zugrunde zu gehen und seinen Körper einem Natdämonen oder Schwarzmagier zu überlassen, oder?«
»Andere sind mir egal. Mich interessiert nur Liam. Er ist mein Bruder.«
In Fayes Kehle saß plötzlich ein Kloß; sie schluckte schwer und fühlte, wie eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen griff. »Und Luke ist mein Bruder«, würgte sie hervor. Erschüttert schüttelte sie seinen Arm ab und ließ ihn mitten auf der Tanzfläche stehen.
Seine Visionen wurden von Traumbildern durchzogen, die er nicht deuten konnte. Aber im Traum konnte er komischerweise sehen. Seine Blindheit war wie weggewischt und unter seinen zuckenden Augenlidern entstanden flammengetränkte Bilder. Verschwommen sah er sich am Rande einer bedrohlichen Felsenklippe stehen und eine orkanartige Wasserwand schien seine Schwester magisch in die Tiefe zu ziehen.
Dann veränderte sich die Farbe der Umgebung und das Wasser begann zu brodeln. Durch die Nebelschwaden hindurch sah er unzählige Menschen. Von einem ging eine dunkle, grausame Macht aus, die in seinen Eingeweiden grub. Leise rauschte auf der rechten Seite ein roter Strom auf Faye und ihn zu. Wie ein Wasserlauf floss der Strom an beiden Seiten an ihnen vorbei und begann sich in der Mitte des Felsens mit etwas Dunklem zu vermischen.
Wie aus dem Augenblick heraus begann ein Feuerring sich zu bewegen. Stichflammen loderten auf und das Feuer kroch an einem Körper hoch. Angstschweiß perlte im Traum auf Lukes Stirn. Langsam und stolpernd wich er schrittweise zurück. In diesem Moment tauchte das Wesen als Ganzes auf. Doch dann versank sein Blick wieder in der Dunkelheit. Hilflos hörte er die Schreie seiner Schwester.
»Nein!« Panisch schlug er um sich.
»Luke … Luke, wach auf, es ist nur ein Alptraum.« Besorgt beugte Faye sich über ihn. Wie in den vergangenen Nächten bewachte sie Lukes Schlaf. Er schlief immer unruhiger. Beruhigend strich sie ihm das verschwitze Haar aus der Stirn. »Schon gut, du hast nur geträumt. Es ist vorbei.«
»Nein, nein, das war kein normaler Alptraum. Ich glaube, es war eine Vision, aber ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat.«
Faye schaute ihren Bruder überaus ernst an. Aber auch sie verstand den Sinn dieser Vision nicht. »Komm, Luke, versuche noch ein bisschen zu schlafen.«
Sie schlug die Bettdecke zur Seite und legte sich neben ihn aufs Bett. Fürsorglich zog sie ihn an ihren Oberkörper und streichelte sanft sein Haar, bis er in einen leichten Schlaf fiel. Tief beunruhigt blickte sie dabei in die Dunkelheit der Nacht hinaus.
9
Jade Circle
Shaolin Art Academy
Monterey
Lighthouse Distrikt
E s war ein herrlicher Tag unter einem strahlendblauen Himmel. Rotgefederte Kolibris tanzten lustig vor sich hinzwitschernd durch die Sonnenstrahlen und ließen sich wenig später in dem nahen, am Haus überhängenden Kirschbaum nieder. Versonnen beobachtet Faye sie für einen Augenblick. Es sah so friedlich aus, wie sich die roten Fellbällchen von Ast zu Ast schwangen und mit ihren kleinen Schnäbeln in die saftigen Kirschen pickten.
Der tiefrote Fruchtnektar tropfte an ihrem roten Gefieder herunter, sodass man es kaum sah, und die Tropfen hinterließen lustige Sprenkel auf dem grünen Rasen unter den Baumkronen. Wahrscheinlich hatte die Natur den Vögeln aus genau diesem Grund so eine auffällige Farbe für ihr Federkleidchen gegeben. Faye lächelte wehmütig und wünschte, sie könnte die Zeit zurückdrehen, in der sie mit Luke und einem Buch stundenlang hier gesessen hatte.
Das Lesen war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen und hatte Luke mit Freude erfüllt. Jetzt fühlte sie sich verzweifelt. Sie sehnte sich wieder nach dem Leben, das sie vor den Dämonen mit Luke geführt hatte. Müde lächelte sie der weißen Nachbarskatze zu, die sich jetzt zu ihren Füssen auf der Veranda niederließ. Jeden Tag leistete sie ihr Gesellschafft und schien jede ihrer Bewegungen aufmerksam zu verfolgen.
Manchmal legte sie den
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