Tanz im Dunkel
Verhaltens leicht verdrängen.
Beim Durchblättern machte er sich auf einem leeren Zettel, den er sich von einem Stapel von Rues Uni-Skripten genommen hatte, so viele Notizen wie möglich. Mehrere Telefonnummern waren von Leuten aus Pineville, einer Stadt mit einer Vorwahl in Tennessee. Sean hatte vor ein paar Jahren einen Freund in Memphis gehabt, und er erinnerte sich an die Nummer. Er hatte gerade das Adressbuch zurückgelegt, da hörte er, wie die Badezimmertür aufging.
“Du studierst also die Geschichte meines Landes”, sagte er, während er die Titel der Lehrwerke betrachtete, die sich auf Rues winzigem Schreibtisch stapelten.
“Es ist die Geschichte der gesamten Britischen Inseln.” Sie bemühte sich, ihr Schmunzeln zu verbergen. “Aber es stimmt, ja. Es ist eine interessante Vorlesung.”
“In welchem Jahr seid ihr angelangt?”
“Wir nehmen gerade Michael Collins durch.”
“Ich habe ihn gekannt.”
“Was?” Ihre Kinnlade klappte nach unten, und sie wusste, dass sie aussehen musste wie ein Vollidiot. Zum ersten Mal wurden ihr die Jahre bewusst, die Sean ihr voraus hatte, und wie viel Wissen über Geschichte und historische Persönlichkeiten er im Kopf haben musste. “Du hast ihn gekannt?”
Sean nickte. “Ein temperamentvoller Mann, aber nicht mein Fall.”
“Könntest … würdest … du in meinem Seminar von deinen Erinnerungen erzählen?”
Sean wirkte bestürzt. “Ach, Rue, es ist so lange her. Außerdem bin ich nicht unbedingt jemand, der beim Publikum gut ankommt.”
“Das stimmt nicht”, widersprach sie und fügte in Gedanken
Du kommst bei mir gut an
hinzu. “Überlegst du es dir noch? Meine Professorin wäre begeistert. Sie ist ein absoluter Fan von allem, was mit Irland zu tun hat.”
“Oh, und woher kommt sie?”
“Aus Oklahoma.”
“Ziemlich weit weg von Irland.”
“Möchtest du noch einen Drink?”
“Nein.” Er betrachtete die Flasche in seinen Händen und schien überrascht, dass sie leer war. “Ich werde jetzt gehen, damit du ein paar Stunden Schlaf kriegst. Hast du morgen Vorlesungen?”
“Nein, morgen ist Samstag. Ich kann ausschlafen.”
“Ich auch.”
Sean hatte tatsächlich einen kleinen Witz gemacht! Rue musste lachen.
“Schläfst du eigentlich in einem normalen Bett?”, erkundigte sie sich. “Oder in einem Sarg? Oder wo?”
“In meiner eigenen Wohnung habe ich ein normales Bett, da sich das Schlafzimmer völlig abdunkeln lässt. In der Stadt gibt es außerdem noch ein paar andere Orte, wo ich nächtigen kann, falls ich es vor dem Morgengrauen nicht mehr in meine Wohnung schaffe. Es gibt so etwas Ähnliches wie Hotels für Vampire. Dort stehen Särge, in denen man schlafen kann. Sehr zweckmäßig also.”
Rue und Sean erhoben sich. Sie nahm ihm die leere Flasche aus der Hand und beugte sich nach hinten, um sie neben die Spüle zu stellen. Plötzlich war es ganz still, und Rue merkte, wie ihr Puls schneller wurde.
“Jetzt gebe ich dir einen Gutenachtkuss”, sagte Sean bedächtig. Mit einem Schritt war er unmittelbar vor ihr, legte eine Hand in ihren Nacken und brachte ihren Kopf in die genau richtige Stellung. Dann berührten seine Lippen ihre, und nach einem Augenblick, in dem Rue sich nicht bewegte, strich er mit seiner Zunge über ihren Mund. Rue öffnete leicht die Lippen.
Die eine Sache, die ungewöhnlich war, war Seans kalter Mund – die andere ungewöhnliche Sache war, dass sie und Sean sich küssten. Punkt. Jetzt war sie sich endlich sicher, dass Seans Interesse an ihr das eines Mannes für eine Frau war. Für einen im wahrsten Sinn des Wortes coolen Mann waren seine Küsse sehr heiß.
“Sean”, flüsterte sie.
“Ja?” Seine Stimme war genauso leise.
“Wir sollten besser nicht …”
“Layla.”
Das Gefühl, als er ihren richtigen Namen aussprach, war berauschend, und als er sie nun wieder küsste, war nichts mehr ungewöhnlich. Nur aufregend und schön. Sie fühlte sich wohler mit diesem Vampir, als sie sich jemals mit irgendeinem Mann gefühlt hatte. Doch das Prickeln, das sie ganz tief in sich spürte, als seine Zunge über ihre strich, war nicht das, was sie als bloßes Wohlfühlen bezeichnen würde. Sie legte ihm die Arme um den Hals und überließ sich ganz seinem Kuss. Als er sich an sie presste, spürte sie, dass es für ihn ebenso aufregend war wie für sie.
Seine Lippen wanderten ihren Hals entlang. Er leckte über die Stelle, an der er sie normalerweise biss. Unwillkürlich schmiegte sie sich fester
Weitere Kostenlose Bücher