Tanz im Dunkel
für ihren bulligen Partner, den sich niemand außer ihr zu verwenden traute.
“Die blasse Frau”, sagte er mit schwerem Akzent und einer Stimme, die tief wie ein Nebelhorn war. Moose schien kein Freund vieler Worte zu sein.
“Ach ja, richtig”, stimmte Abilene zu. “Bei unserem letzten Auftritt war da plötzlich die Ehefrau von einem, äh, Abgeordneten … Keine Ahnung, woher sie gekommen ist oder warum ihr Mann sie mitgebracht hat. Jedenfalls hat sich herausgestellt, dass sie zur Bruderschaft gehört.”
“Seid ihr verletzt worden?”, erkundigte Sylvia sich sofort.
“Sie hatte ein Messer”, antwortete Abilene. “Moose lag auf mir, daher war es keine ganz ungefährliche Situation. Dürfen wir die Kunden wirklich nicht umbringen, Sylvia?” Abilene lächelte. Es war kein freundliches Lächeln.
“Nein, natürlich nicht”, beeilte Sylvia sich zu sagen. “Hat Haskell die Angelegenheit erledigt?”
Zum ersten Mal an diesem Abend fiel Rue der schlanke Mann auf, der an der Wand neben der Tür lehnte. Sie hatte selten mit Haskell zu tun, da die Black-Moon-Leute mehr Schutz brauchten als die Tänzer von Blue Moon. Haskell war ein Vampir mit glattem, kurzem, blondem Haar und eisblauen Augen. Er hatte den muskulösen Körper eines Sportlers und strahlte die Wachsamkeit eines Bodyguards aus.
“Ich habe sie festgehalten, bis ihr Mann und seine ‘Assistenten’ es geschafft hatten, sie hinauszubringen”, antwortete Haskell ruhig.
“Wie heißt sie?”
“Iris Lowry.”
Sylvia notierte sich den Namen. “Gut, wir werden sie im Auge behalten. Vielleicht lasse ich Senator Lowry durch meinen Anwalt einen Brief zukommen. Hallie? David? Wie läuft es bei Ihnen beiden?”
“Alles in Ordnung”, sagte David schnell. Rue senkte den Blick und starrte auf ihre Hände. Kein Grund, den Vorfall zu erwähnen, obwohl er den Tod eines Menschen zufolge gehabt hatte … einen Tod, der bislang in keiner Zeitung auch nur mit einem Wort erwähnt worden war.
“Rick? Phil?” Die beiden Männer wechselten einen Blick, ehe sie antworteten.
“Die Kunden, für die wir im ‘Happy Horseman’ aufgetreten sind … das waren SM-Leute. Und wir haben ihnen eine gute Show geboten.”
Rue wusste sofort, dass nicht vom Jonglieren die Rede war, und versuchte sich ihre Abscheu nicht anmerken zu lassen. Rick und Phil hatten sich ihr gegenüber immer nur liebenswürdig und kollegial verhalten.
“Sie wollten, dass Phil nach unserem Auftritt noch bleibt”, erzählte Rick. “Aber nach einigem Hin und Her konnten wir uns dann doch aus dem Staub machen.” Die beiden Vampire waren immer zusammen, aber sehr unterschiedlich. Rick war groß, ein eher dunkler, weicher Typ und gut aussehend. Phil war klein und schlank, fast zierlich. Rue fand, dass er eigentlich wie ein 14-Jähriger aussah. Vielleicht war er tatsächlich so jung, als er gestorben ist, dachte sie. Plötzlich tat er ihr leid. Dann sah Phil sie zufällig an, und sie spürte, wie ihr beim Anblick seiner tiefen, trüben Augen ein Schauer über den Rücken lief.
“Oh nein …”, murmelte Sylvia, und Phil wandte sich wieder seiner Chefin zu. “Phil?” Ihre Stimme wurde sanft. “Sie wissen, dass wir niemandem erlauben, Sie zu berühren, wenn Sie selbst es nicht wollen. Aber bitte vergessen Sie nicht, dass Sie auf niemanden losgehen dürfen, nur weil derjenige Sie begehrenswert findet. Sie sehen so toll aus, dass es immer irgendjemanden geben wird, der Sie unwiderstehlich findet.”
Sylvia erwiderte seinen beängstigend starren Blick. “Sie kennen die Regeln, Phil”, sagte sie nun sehr bestimmt. “Sie müssen die Kunden in Ruhe lassen.” Nach einer langen, angespannten Stille nickte Phil. Es war ein kaum wahrnehmbares Nicken.
“Seid ihr alle der Meinung, dass wir zusätzlich zu Haskell noch Personenschutz brauchen? Für die Abende, an denen Black-Moon zwei Engagements hat?”, fragte Sylvia in die Runde. “Denny ist ein toller, kräftiger Kerl, aber eher für Auf- und Abbauarbeiten geeignet. Für einen Bodyguard fehlt ihm die Aggressivität, und außerdem ist er kein Vampir.”
“Wäre nicht schlecht, wenn wir noch jemanden hätten”, sagte Rick. “Es hätte die Situation wahrscheinlich etwas entspannt, wenn eine dritte, sozusagen außenstehende Partei dabei gewesen wäre. So hat es eine Weile so ausgesehen, als müsste ich es mit den Kunden ganz allein aufnehmen. Ich hasse es, wenn wir durch Aggressivität einen Kunden verlieren, aber die Leute im ‘Happy
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