Tanz im Dunkel
gelogen war. Und obwohl er erst ihr Blut kosten musste, um es wirklich zu wissen, hatte Sean den Verdacht, dass seine neue Tanzpartnerin ein Leben in Angst führte.
Nachdem sie sich aufgewärmt hatten, begannen sie mit dem Training. Es klappte recht gut. Solange sie sich beide auf das Tanzen konzentrierten, fiel es ihnen auch leicht, miteinander zu reden. Wenn sie irgendein persönliches Thema streiften, nicht.
Sean erzählte, dass man fast nie für Stepptanz engagiert wurde. “Die Leute, von denen wir die Aufträge bekommen, wollen entweder etwas Temperamentvolles oder etwas Romantisches”, erklärte er. “Für Charity-Bälle wollen sie meistens ein Paar, das Tango tanzt oder tolle Hebefiguren draufhat. Bei Verlobungsfeiern, Geburtstagspartys und dergleichen wollen sie langsame, erotische Tänze, die immer mit einem Biss enden.”
Rue fand es bewundernswert, wie sachlich er darüber redete – so, als wären sie beide Profis oder Schauspieler, die eine Szene probten. Eigentlich ein guter Vergleich, dachte sie.
“So etwas habe ich noch nie gemacht”, erklärte sie. “Also das mit dem Beißen. Ach übrigens, beißt du immer in den Hals?” Sie versuchte, ihre Frage bezüglich des Tanzfinales möglichst gelassen und sachlich klingen zu lassen. Sie war stolz, wie ruhig sie sich anhörte.
“Das ist die Stelle, die das Publikum am liebsten mag. Die Zuschauer können es am Hals am besten sehen, und außerdem gilt es als die traditionelle Art zu beißen. Im wahren Leben – wenn ich diese Formulierung verwenden darf – können wir natürlich überall beißen. Am Hals und in der Lendengegend gibt es allerdings die dicksten Arterien, also werden diese Stellen bevorzugt. Die Bisse sind nicht tödlich. Ich trinke nur einen oder zwei Tropfen. Je älter wir werden, desto weniger Blut brauchen wir.”
Rue spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Das hörte sich genauso an, wie sie es am Computer an der Universität recherchiert hatte. Trotzdem war es ihr wichtig gewesen, sich die Richtigkeit des Gelesenen von Sean bestätigen zu lassen. Sie musste über all diese Dinge Bescheid wissen, doch es war ihr trotzdem peinlich. Es war so ähnlich, als würde man Sex-Positionen diskutieren und nicht – in diesem Fall eigentlich näher liegende – Essgewohnheiten: Missionarsstellung versus Doggy Style statt Gabeln versus Essstäbchen.
“Probieren wir einen Tango”, schlug Sean vor. Rue zog ihre Tanzschuhe an. “Kannst du höhere Schuhe tragen?”, fragte ihr Partner sachlich.
“Ja, ich kann mit höheren Absätzen tanzen, aber dann wären wir fast gleich groß, meinst du nicht?”
“Ich bin nicht eitel”, sagte er einfach. “Es kommt nur darauf an, wie es beim Tanzen aussieht.”
Aristokrat oder nicht – er war ein pragmatischer Mann. Zu Rues Freude war er außerdem weiterhin ein großartiger Tanzpartner. Sehr professionell. Auch geduldig. Und da sie selbst ein wenig aus der Übung war, war sie froh über seine Geduld. Je länger das Training dauerte, desto selbstsicherer wurde sie. Ihr Körper entdeckte langsam, aber sicher seine Fähigkeiten wieder, und Rue begann, das Tanzen so richtig zu genießen.
Sie hatte schon seit einer Ewigkeit nicht mehr so viel Spaß gehabt.
Zum Abschluss tanzten sie zu einem von einer Big Band gespielten romantischen, verträumten Stück aus den Fünfzigerjahren. Als die Melodie zu Ende ging, sagte Sean: “Jetzt lasse ich dich hinunter.” Dann ließ er sie in seinem Arm nach unten gleiten, bis ihr Rücken fast parallel zum Boden war. Und in dieser Position hielt er sie fest. Ein Mensch hätte es nicht lange durchgehalten, doch sein Arm unter ihren Schultern war wie Eisen. Alles, was sie tun musste, war, ihre anmutige Pose dicht an seinem Körper zu halten. “Dann beiße ich”, erklärte er, beugte sich über ihren Hals und deutete einen Biss an. Er spürte, wie sie zitterte, und wünschte, sie würde sich entspannen. Doch das war nicht der Fall. Nach ein paar Sekunden half er ihr hoch.
“Wir könnten – falls du dich bereit dafür fühlst – an diesem Wochenende ein Engagement wahrnehmen”, sagte er. “Wir müssten jeden Abend trainieren, und du müsstest dir bis dahin deine Kostüme organisieren.”
Sie war über das unverfängliche Gesprächsthema erleichtert. Julie und Thompson standen in der Tür und warteten, dass sie ins Studio konnten. Die beiden hörten interessiert zu.
“Sylvia hat gemeint, es gäbe eine Art Fundus mit Kostümen.”
“Ich zeige ihn
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