Tanz im Mondlicht
umgeben von einem erlesen gestalteten Garten mit Obstbäumen und gepflegten Blumenrabatten. Die Zimmer hatten große Fenster, die sich weit genug öffnen ließen, um frische Luft hereinzulassen, ohne dass die Insassen hinausfielen. Es waren in der Tat einige Verbesserungen vorgenommen worden, und die Freizeitaktivitäten wurden generalstabsmäßig geplant, wie vom obersten Reiseleiter an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Die Ausstattung sah freundlicher aus.
»Wie Sie sehen, legen wir bei unseren Senioren großen Wert auf Individualität«, verkündete Rosalie Drance, die als Verwaltungsdirektorin im Cherry Vale für die Neuzugänge zuständig war, als sie Jane und Sylvie den Plan für die laufende Woche zeigte. »Wir bemühen uns, so weit wie möglich auf Hobbys und Interessen einzugehen. Wir haben ein breitgefächertes Freizeitprogramm, von ausländischen Filmen bis zum Line Dancing.«
»Tanzen?« Jane blickte sich in dem Aufenthaltsraum um, wo die meisten Heiminsassen in Rollstühlen saßen.
»Rollstühle sind für uns kein Hindernis«, lachte Rosalie. »Wir bringen die Leute dazu, sich zu bewegen, wie auch immer – wenn sie die Tanzschritte selbst ausführen können, prima. Wenn nicht, schieben wir sie im Rollstuhl.«
»Unsere Mutter ist nicht der Typ, der am Line Dancing Gefallen finden würde«, entgegnete Sylvie mit beherrschter Würde. »Sie war Schulleiterin; sie zieht stille Freizeitbeschäftigungen vor, wie Lesen oder Schreiben.«
Rosalie lächelte. »Wir zwingen niemanden … Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Bibliothek.«
Jane folgte den beiden. Rosalie machte es einem schwer, die Vorzüge von Cherry Vale nicht zur Kenntnis zu nehmen, genau wie ihre Entsprechung im Marsh Glen. Das Sonnenlicht flimmerte auf den gewienerten Fußböden. Kirschbäume wiegten sich im Wind. Im Schatten wurde Yoga-Unterricht erteilt; annähernd die Hälfte der Teilnehmer saß im Rollstuhl. Sie hätte gern gewusst, wie oft die Angehörigen zu Besuch kamen.
Die Bibliothek war nicht umfangreich, aber mehr als sorgfältig bestückt. Es gab Regale mit Romanen, sowohl klassische als auch moderne, Regale mit Sachbüchern, eine Auswahl von Nachschlagewerken.
»Sie sehen, wir haben sogar eine
Encyclopedia Britannica
«, sagte Rosalie.
»Mom hält Nachschlagewerke für einen Notbehelf, wenn man recherchieren muss«, sagte Sylvie. »Und als Bibliothekarin kann ich ihr nur beipflichten.«
»Wir begrüßen jeden individuellen Beitrag und versuchen, allen Bitten und Ansinnen gerecht zu werden. Gibt es bestimmte Bücher, die wir besorgen sollten?«
Sylvie verschränkte die Arme vor der Brust, die Augen fest geschlossen, als würde sie eine Bücherliste zusammenstellen und gleichzeitig versuchen, sich zurückzuhalten. Sowohl Jane als auch Rosalie beobachteten sie schweigend.
»Sylvie«, sagte Jane sanft nach einer Weile. »Mal ehrlich, was glaubst du, wie viele Recherchen Mom durchführen wird?«
»Es ist nur …« Sylvies Widerstand erlahmte. »Dieses Heim ist so behaglich, genau wie Cherry Vale …«
»Wir sind im Cherry Vale«, erinnerte Jane sie.
»Ich meinte, Marsh Glen; eigentlich sollte ich die beiden unterscheiden können, schließlich war Granny dort … aber hier geht es um unsere Mutter! Sie ist streng und brillant, und wie angenehm es hier auch sein mag, es ist nicht ihr Zuhause!«, schluchzte Sylvie.
Jane legte den Arm um sie, nickte Rosalie zu, die ungemein mitfühlend und keineswegs bestürzt wirkte. »Wir müssen darüber nachdenken«, sagte Jane.
»Natürlich«, erwiderte Rosalie. »Ich weiß, wie schwer eine Entscheidung letztlich ist, egal, wie oft ich Ortsbegehungen mit den Angehörigen durchführe.«
Die Schwestern gingen zum Auto, und Sylvie sog die frische Luft ein, als könnte sie das erste Mal wieder frei durchatmen. »Es tut mir leid, dass ich die Fassung verloren habe«, sagte sie schniefend.
»Du hast es für uns beide getan.«
Sylvie trocknete sich die Augen und sah auf. »Du fühlst dich auch schlecht?«
Jane nickte. »Natürlich, was sonst.«
»Bist du sicher, dass du nicht den Wunsch hast, über ihr Leben zu bestimmen – so wie sie damals über dein Leben bestimmt hat?«
»So etwas zu sagen ist schrecklich.«
Aber entsprach es nicht der Wahrheit? Und wenn auch nur ansatzweise? Nachdem Jane ein wenig Zeit mit Chloe verbracht hatte, war ihr klargeworden, wie sehr sie sich danach sehnte, häufiger, viel häufiger mit ihr zusammen zu sein.
»Ein Stern auf dem Dachboden«, sagte Jane und
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