Tanz im Mondlicht
Wert auf eine optimale Betreuung für unsere Eltern.«
»Marsh Glen ist weit weg«, warf Sylvie ein. »Die Fahrt dauerte viel zu lange.« Abby nickte mitfühlend. »Sie müssen sich ja nicht gleich heute entscheiden, aber ich fürchte, wir brauchen bis Montag einen Pflegeplan.« Sie schüttelte den Schwestern zum Abschied die Hand und eilte davon, um sich auf dem Pieper zu melden.
»Cherry Vale und Marsh Glen«, sagte Jane. »Wie kommt es, dass die Namen dieser Heime alle gleich klingen? Idyllisch, heiter, wie ein unberührtes Fleckchen Erde in den Cotswolds.«
»Stimmt. Das gemütliche, kreuzfidele alte England, wie es leibt und lebt«, lachte Sylvie, erleichtert, dass Jane zum Scherzen aufgelegt war.
Janes Augen funkelten, als sie sich auf dem Gang nach rechts und links umsah, aber dann sah sie plötzlich wieder verunsichert und verletzlich aus. »Wir müssen eine Entscheidung treffen, was mit Mom geschehen soll. Auch wenn es nicht leichtfällt. Ich hasse den Gedanken, dass sie genau dort enden könnte, wo Granny war.«
»Ich dachte, du bist wild entschlossen, sie in ein Pflegeheim zu stecken.«
Jane schüttelte den Kopf. »Ins Marsh Vale oder Cherry Glen? Wie könnte ich? Ich denke, es ist am sinnvollsten und für Mom wahrscheinlich das Beste, aber der Gedanke fällt mir schwer. Wir könnten ein Krankenbett für zu Hause, für ihr Schlafzimmer anschaffen …«
»Und einen Rollstuhl und eine tragbare Toilette in ihrem Zimmer aufstellen. Aber wer soll sie heben? Mit ihrer gebrochenen Hüfte braucht sie allein schon zwei Leute, um sie aus dem Bett zu hieven.«
»Das schaffen wir schon. Wir sind stark.«
Waren die Rollen inzwischen vertauscht? Sylvie dachte an John, stellte sich vor, wie es sein würde, unter dem Sternenhimmel mit ihm zu zelten. Sie würden in einem Zelt schlafen, würden sich die ganze Nacht küssen. War es selbstsüchtig von ihr, wenn sie mehr vom Leben wollte?
»Was ist mit deinem Geschäft?«, fragte Sylvie. »Musst du nicht zurück?«
»Ich glaube nicht, Syl. Ich denke schon seit geraumer Zeit ziemlich oft darüber nach. Es gefällt mir hier. Ich habe Rhode Island vermisst. Was wäre, wenn ich hier eine Konditorei eröffne – vielleicht nicht in Twin Rivers, aber in Providence?«
»Das würdest du tun?«
Jane ergriff ihre Hände. Als Sylvie in ihre Augen blickte, sah sie, dass Janes Entschluss feststand. Sie würde bleiben. Sylvie hatte die Zeichen des Aufbruchs bei Jane zu erkennen gelernt: eine gewisse gefühlsmäßige Distanz, Abschottung. Doch in diesem Moment schien Jane fest verankert zu sein – mit Sylvies Händen, ihrer Heimat, ihrer Familie.
»Es ist mein größter Wunsch. Früher bin ich vor vielen Dingen davongelaufen, aber das ist jetzt nicht mehr nötig.«
»Du meinst es wirklich ernst? Dass wir beide zu Hause bleiben und uns Moms Pflege teilen sollen?«
Jane schüttelte den Kopf. Sie umarmte Sylvie, küsste ihre Wange. »Nein, ich glaube, das wäre nicht gut. Aber wir sollten beide in ihrer Nähe sein. Um sie so oft wie möglich zu besuchen, um sie abwechselnd in die Bibliothek oder zum Pädagogen-Dinner zu fahren und uns zu vergewissern, dass sie alles hat, was sie braucht.«
Sylvie klammerte sich an sie. Sie war so glücklich, dass Jane in Rhode Island bleiben wollte, dass sie beinahe, wenn auch nicht ganz, den Rest übersah. Tränen brannten in ihren Augen, Tränen der Freude und des Kummers zugleich.
»Sie wird dort todunglücklich sein«, sagte sie.
»Das wissen wir nicht. Wie Abby bereits sagte, hört es sich in beiden Heimen ähnlich an wie in der Schule.«
»Vielleicht könnten wir sie vorab in Augenschein nehmen … um zu sehen, ob sie besser sind als damals, zu Grannys Zeiten.«
»Genau«, pflichtete Jane ihr bei. »Wir sehen sie uns erst mal lediglich an.«
Sylvie nickte. Sie trocknete sich die Augen und lächelte. Schließlich gab es allen Grund zur Freude. Die Diagnose ihrer Mutter, die Rückkehr ihrer Schwester und der Urlaub mit John Dufour in Maine.
Wenn sich doch nur gewisse Dinge ändern und der Rest gleich bleiben könnten, dachte Sylvie. Wenn sich ihre Mutter doch nur selbst versorgen und in ihren eigenen vier Wänden bleiben könnte, dann wäre alles perfekt …
Cherry Vale und Marsh Glen befanden sich im Besitz ein und derselben Organisation, der Rainbow Healthcare, und waren sich in vieler Hinsicht ähnlich, wenn nicht gar austauschbar. Vom selben Architekten entworfen, lagen beide inmitten einer malerischen Landschaft,
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