Tanz im Mondlicht
gewirbelt. Ihre Mutter bewegte sich gerne, schielte dabei aber nicht mit einem Auge zum Spiegel hinüber.
»Wenn du es hoch und heilig versprichst, glaube ich dir«, sagte ihre Mutter und löste sich von ihr. »Wo ist Mona?«
»Am Stand.«
»Mit wem bist du denn hier?«
In dem Augenblick kam Jane aus der Apotheke. Sie hielt die weiße Tüte hoch, wie die Fackel der Freiheitsstatue, ließ jedoch den Arm rasch sinken, als sie Chloes Mutter entdeckte. Chloe war haarscharf davon entfernt, sich auf den blankpolierten Boden des Einkaufszentrums zu übergeben.
»Hallo.« Jane trat näher.
»Hallo.« Chloes Mutter lächelte verwirrt.
»Mom, das ist Jane. Die Konditorin. Jane, das ist meine Mom.«
»Sharon Chadwick.« Die beiden Frauen reichten sich zur Begrüßung die Hände. »Ich habe viel von Ihnen gehört. Und Ihre Pasteten sind köstlich.«
»Danke.« Janes Augen waren weit aufgerissen, sie sah alarmiert aus. Sie stand reglos da und hielt die Tüte umklammert. Chloe wurde bewusst, dass sie ganz anders als ihre Mutter aussah – als jede Mutter aus der Gegend, nebenbei bemerkt: Sie trug ein schwarzes, im Nacken gebundenes Top mit der silbernen Aufschrift »Om«. Auf der Rückseite hieß es: »Shanti Yoga, Perry Street«. Ihre Frisur wirkte chic und jung. Die dunklen Haare fielen ihr schräg über das rechte Auge. Die Hüfthose im Tarnanzug-Stil enthüllte den Bund eines Calvin-Klein-Slips und ein winziges, tätowiertes »C« auf der Hüfte. Seltsamerweise war sie genauso gekleidet wie in Newport. Das galt auch für die Schuhe: Schwarz und klobig, wirkten sie wie eine gefährliche Waffe.
Chloes Mutter trug dagegen ein langes Sommerkleid aus ihrem Lieblingskatalog – fließend, kühl und gelb mit rundum verstreuten Sonnenblumen – und einen Strohhut. An den Füßen hatte sie bequeme Sandalen. Ihre Ohrringe waren mit Perlen und Sonnensymbolen geschmückt. Unter ihren Fingernägeln waren schwarze Trauerränder von der Erde im Garten. Sie besaß eine warme, hoffnungsvolle New-Age-Ausstrahlung, die besänftigend wirkte.
»Chloe hat mich nur schnell bei einer Besorgung begleitet«, sagte Jane, obwohl Chloes Mutter nicht danach gefragt hatte.
»Das ist typisch für sie«, erwiderte ihre Mutter und drückte ihre Schultern. »Immer hilfsbereit.«
Chloe versuchte, sich ein Lächeln oder eine Bemerkung abzuringen, doch vergebens. Sie hatte das Gefühl, innerlich zu schrumpfen. Ihre Mutter zu belügen war schrecklich. So war es immer gewesen, aber es war ihr nie schmerzlicher bewusst als jetzt. Denn heute stand eine Menge auf dem Spiel: Diese Lüge hatte mit anderen Lügen zu tun. Mit dem heimlichen Rendezvous unter dem Sternenhimmel, mit Sex und möglicherweise mit einer Schwangerschaft.
Chloe schluckte krampfhaft. Sie blickte Jane an. Beim direkten Vergleich mit ihrer Mutter schnitt Jane nicht mehr so gut ab. Sie hatte ihre Mutter gerade angeschwindelt. Obwohl Chloe wusste, dass sie ihr damit nur helfen wollte, hatte sie dabei kein gutes Gefühl.
»Ich muss zur Plantage zurück«, sagte Chloe.
»Soll ich dich mitnehmen?«, fragte ihre Mutter. »Ich habe nur kurz haltgemacht, um Flip-Flops für uns beide zu kaufen, und fahre jetzt nach Hause.«
Chloe schüttelte den Kopf. Die Worte »Flip-Flops« schnitten ihr wie ein Messer ins Herz. Sie hatten einen so leichten, wohltönenden Klang inmitten von so viel Lug und Betrug. Sie schämte sich. Sie blickte Jane an und sah, wie sie den Mund aufmachte – vielleicht, um ihrer Mutter eine weitere Lüge aufzutischen. Chloe kam ihr zuvor.
»Jane fährt mich zurück. Wir haben Pasteten im Auto …«
»Natürlich.« Chloes Mutter lächelte. »Also dann, es war nett, Sie kennenzulernen. Mein Mann und ich würden uns freuen, wenn Dylan und Sie bald einmal zu uns zum Abendessen kämen.«
»Danke«, sagte Jane. Sie lächelte schwach – als sei sie nicht im Geringsten interessiert.
Während Chloe ihrer Mutter nachsah, verspürte sie mit einem Mal das Bedürfnis, ihr hinterherzulaufen. Jane repräsentierte die Welt der Erwachsenen, Unabhängigkeit, die Großstadt. Chloes Mutter repräsentierte die Welt ihrer Kindheit, Geborgenheit, ländliche Idylle. Chloe hatte einen Kloß im Hals. Jane sah sie besorgt an.
»Sollen wir eine Toilette suchen?«
Chloe nickte – aber sie schaffte es nicht mehr. Sie erbrach sich auf ihre eigenen Füße und die Janes, mitten im Einkaufszentrum.
Jane brachte sie zum Auto. Chloe war verwirrt und weinte. Jane wusste, dass es ihr ein
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