Tanz im Mondlicht
wusste, dass es von ihrer Mutter stammte; sie hatte es gemacht, als sie ihren Vater geheiratet hatte und auf die Plantage gezogen war. Es zeigte das kleine weiße Haus, in dem sie lebten, den Zaun, die Apfelbäume und die rote Scheune auf der Anhöhe. Ihre Mutter hatte ein Spruchband an den oberen Rand gestickt.
Mona zitierte die Worte: »›Gib mir Freunde und ein Heim, um glücklich zu sein‹.«
»Das trifft voll auf mich zu. Vor allem, was die männlichen Exemplare angeht!«, sagte Chloe ironisch.
»So habe ich das nicht gemeint.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Chloe und fühlte sich sterbenskrank.
»Ich meinte nur, du siehst so aus, als könntest du kein Wässerchen trüben, wie du da am Straßenrand stehst und auf Jane wartest. Vielleicht können wir deine Mutter dazu bringen, ihr Stickbild zu überarbeiten. Freund
innen
statt Freunde.«
Chloe nickte. Sie stellte sich ihre Mutter vor, wie sie an dem Stickmustertuch arbeitete. Damals war sie eine junge Frau gewesen. Wie mochte es gewesen sein, auf die Apfelplantage zu ziehen? Ihr Großvater hatte zu der Zeit noch gelebt; ihre Mutter hatte ihn zusammen mit ihrem Vater gepflegt und sich dabei fortwährend ein Baby gewünscht. Hatte sie, während sie im Schaukelstuhl saß und das anheimelnde Motiv stickte, von einem eigenen, leiblichen Kind geträumt?
Bei dem Gedanken kniff Chloe die Augen zusammen. Wie kam es, dass ihrer Mutter ein Kind versagt blieb, obwohl eine Schwangerschaft doch das Normalste auf der Welt war – schließlich war bei jedem der Millionen und Abermillionen Menschen, die auf der Erde lebten, eine vorausgegangen! Es stimmte Chloe traurig, sich ihre Mutter vorzustellen, wie sie an ihrem Stickmusterbild arbeitete.
In diesem Augenblick näherte sich Onkel Dylan auf seinem Traktor.
»Wieso stehst du an der Straße?«, rief er.
»Ich warte auf jemanden«, rief sie zurück, das Rumpeln des Motors übertönend.
Onkel Dylan stellte den Motor ab. »Ich muss mit dir reden.«
»Ähm«, sagte Chloe nervös. Einerseits wollte sie keinen Argwohn bei ihrem Onkel erregen, doch andererseits wusste sie, dass sie sich nicht auf das konzentrieren konnte, was er ihr zu sagen hatte, bis sie mit Jane losgefahren war, um den Schwangerschaftstest zu wiederholen.
»Du kannst mit mir reden«, eilte ihr Mona kokett zu Hilfe, und Chloe hätte sie dafür am liebsten umarmt.
Onkel Dylan verzog keine Miene. Allem Anschein nach hatte er sich wieder in den alten Griesgram verwandelt, der er früher gewesen war – v.J. – vor Jane.
»Was ist los, Onkel Dylan?«, fragte Mona. »Du siehst ziemlich mitgenommen aus.«
»Nichts ist los. Chloe, lass uns eine Runde spazieren gehen. Mona kann sich so lange um den Stand kümmern …«
In diesem Moment tauchte Janes Wagen auf. Chloe blickte ihren Onkel an, in der Erwartung, dass er wie Eis in der Sonne dahinschmelzen würde. Doch zu ihrem Erstaunen wirkte er mit einem Mal erst richtig versteinert. Die Linien in seinem Gesicht vertieften sich noch. Sein Blick wurde finster, als zöge ein Sturm herauf.
»Was soll das?«, herrschte er Jane an, als Chloe die Wagentür öffnete.
»Wir sind gleich wieder da«, erwiderte Jane, als Chloe einstieg, und Chloe war froh, dass sie ihr Geheimnis bewahrte.
»Schluss damit«, befahl er, die Hände an der Autotür.
Jane schwieg. Sie sah ihn lange an, blinzelte. Chloe wusste, in der Katzensprache war das eine versöhnliche Botschaft. Ein Zeichen, dass die blinzelnde Katze nicht angriffslustig, sondern friedlich und freundlich gestimmt war, und Chloe liebte sie dafür. Falls Onkel Dylan das Signal zu deuten wusste, ließ er sich nichts anmerken. Sein Blick war nach wie vor düster und verhieß nichts Gutes.
»Jane, ich sagte Schluss.«
Jane gab Gas, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Chloe drehte sich zu ihr um, wollte fragen, was das Ganze sollte, doch in Janes Miene zeichnete sich ein ähnliches Muster ab: ein Unwetter mit Wolken, Blitz und Regen. Ihre Augen funkelten, als sie Chloe ansah.
»Alles in Ordnung?«
Chloe wollte schon nicken, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich fühle mich hundeelend.«
»Befürchtest du, es könnte die morgendliche Übelkeit sein?«
»Ja. Vielleicht ist es ja nur schlechtes Karma, aber …«
»Was ist mit deiner Periode?«
»Verspätet.« Chloe vergaß Onkel Dylan, konnte nur noch an die Zwangslage denken, in der sie sich befand. »Eine ganze Woche. Könnte es sein, dass ich den letzten Test zu früh gemacht habe?«
»Möglich
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