Tanz im Mondlicht
du.«
»Das spielt keine Rolle.« Chloe berührte ihren eigenen Bauch. »Ich würde mein Kind nie im Leben weggeben. Warum hast du das getan?«, stöhnte sie.
Jane schloss die Augen. »Ich dachte, es sei das Beste für dich. Aber ich habe es bitter bereut, es war der größte Fehler meines Lebens …«
»Meine Eltern lieben mich.«
»Ich weiß.«
»Du hast mich abgeschoben. Ich war unerwünscht. Du hast mich verleugnet …«
Chloe begann zu weinen. Die weiße Tüte fiel ihr aus der Hand. Sie zog die Knie hoch, barg den Kopf in den Armen, von lautlosem Schluchzen geschüttelt. In den vergangenen fünfzehn Jahren hatte Jane die Stunde der Wahrheit oft in Gedanken durchgespielt. Sie hatte sich eine von Nachsicht und Vergebung geprägte Situation ausgemalt. Oder ein ernstes Gespräch über die Ähnlichkeiten zwischen ihnen und die Möglichkeiten, zueinander zu finden, am Leben der anderen teilzuhaben. Nichts hatte sie auf die gutturalen Laute aus dem Mund ihrer Tochter vorbereitet, die an ein verletztes Tier erinnerten. Und auf ihre eigene Reaktion, den Schmerz, der tief in ihrem Körper verankert war, als wären sie immer noch durch die Nabelschnur miteinander verbunden.
»Chloe?« Tränen liefen über ihre Wangen.
Aber Chloe hörte sie nicht. Der Tag war ein einziger Alptraum gewesen. Die Lüge, die Wahrheit, die Angst – verkörpert durch die weiße Papiertüte mit dem Schwangerschaftstest –, dass sich die Geschichte wiederholte. Sie saß auf ihrem Sitz, zusammengerollt wie ein Kind im Mutterleib, und weinte herzzerreißend.
Eines war Jane klargeworden: Die Chadwicks liebten Chloe. Und Chloe hatte sie als ihre Eltern bezeichnet – und das waren sie gewesen, ihr ganzes Leben lang. Und deshalb wusste Jane, wohin Chloe in ebendiesem Augenblick gehörte. Sie wendete den Wagen und fuhr denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. An Cherry Vale vorbei, am Einkaufszentrum vorbei.
Die Plantage tauchte auf. Kleine Äpfel hingen an den Zweigen, noch grün und unreif. Diejenigen, die in der prallen Sonne hingen, glänzten leuchtend grün, von Licht erfüllt. Sie folgte dem Staketenzaun und fuhr am Apfelstand vorbei, ohne anzuhalten. Mona winkte. Jane winkte zurück, aber Chloe schien nichts wahrzunehmen.
Jane setzte den Blinker und bog in den Barn Swallow Way 114 ein. Sie hielt hinter dem Minivan der Familie. Dylan war da, sein Traktor parkte müßig am Straßenrand. Sharon Chadwick war gerade nach Hause gekommen; sie stand in der Einfahrt, die Einkaufstüten achtlos zu ihren Füßen, die Flip-Flops verstreut auf dem Asphalt. Sie blickten zu ihr hinüber; Dylans Augen waren hart und anklagend, Sharons verdunkelt von Schock und Schmerz.
Die beiden Chadwicks eilten zum Wagen, und Jane sah die Missbilligung und den Beschützerinstinkt in Dylans dunkelgrünen Augen – er wollte Chloe aus dem Wagen holen, auf der Stelle. Er trug Jeans und ein blaues Hemd, seine Hände waren gebräunt, mit schönen langen Fingern; Jane erinnerte sich, wie sie sie gestern Nacht liebevoll betrachtet hatte, doch nun hatte sich das Blatt gewendet und er sah eine Feindin in ihr, die es auf seine Familie abgesehen hatte. Und vielleicht war sie das wirklich … Sharon war direkt hinter ihm, die Lippen waren zu einem harten Strich zusammengepresst.
Chloe schien ihre Umgebung kaum wahrzunehmen. Ihr Onkel rief ihren Namen, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. Sie drehte unendlich langsam den Kopf und sah Jane an, als sei sie soeben aus dem Tiefschlaf erwacht. Jane erschrak über den Schmerz in ihrem Gesicht, eine Reaktion, die sich nicht nur auf die Lüge bezog, die in diesem Sommer in ihre Welt eingedrungen war: Sie entsprang einem lebenslangen Gefühl, verlassen worden zu sein.
»Ich wollte dich nicht verletzen, Chloe«, flüsterte Jane, erschüttert über den abgrundtiefen Kummer in Chloes Augen.
»Mein Name«, erwiderte Chloe heiser.
»Ja, was ist damit?«
Zornige Gesichter pressten sich gegen die Fensterscheibe; Dylan rüttelte am Türgriff. Jane hatte die Tür, ohne darüber nachzudenken, automatisch verriegelt, so dass er sie nicht aufbekam.
»Sie – meine Eltern – wollten mich Emily nennen. Aber das ging nicht … wegen deiner Verfügung …«
Jane schloss die Augen, erinnerte sich an die Bedingung, die sie bei der Adoption gestellt hatte: dass ihr Kind den Namen behielt, den sie ihm gegeben hatte.
»Es tut mir leid. Hättest du gerne Emily geheißen?«
Chloe schüttelte den Kopf, und die Bewegung brachte die
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