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Tanz im Mondlicht

Tanz im Mondlicht

Titel: Tanz im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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war.
    Genau in dem Moment, als die Motorräder wendeten und den Gipfel der Anhöhe hinunterrasten, zerrte sie die Schere aus ihrem Hosenbund und sprang aus dem Gebüsch. Sie stand in der Mitte des Pfades, vom Scheinwerferlicht übergossen.
    »Was zum Teufel …«, brüllte der erste Fahrer und riss die Maschine herum, um ihr auszuweichen. Er geriet ins Schleudern, landete auf dem schmalen Grasstreifen zwischen den Baumreihen, und es gelang ihm mit knapper Mühe, das Motorrad aufzurichten und einen Sturz zu verhindern. Der zweite Fahrer, Zeke, brachte seine Maschine unmittelbar vor Chloe zum Stillstand.
    »Hey.« Seine Augen waren ausdruckslos, aber er lächelte.
    »Hey. Falls du es vergessen haben solltest: ich bin’s, Zoe.«
    »Haha.« Er lachte.
    »Zeke, Mann, fahr weiter«, sagte der andere Fahrer.
    Aber Chloe versperrte ihnen den Weg. Sie kamen nicht um sie herum. Sie stand wie angenagelt da, die Schere in der ausgestreckten Hand. »Ihr fahrt nirgendwohin.«
    »Ich sage es dir nicht gerne, Chloe, aber du kannst uns nicht aufhalten«, meinte Zeke. »Klar?«
    »Wenn du dich da mal nicht täuschst«, flüsterte sie.
    Sein Kumpel lachte. »Ist sie das?«
    »Das ist Chloe«, sagte Zeke. Wie auf ein Stichwort lachte sein Freund und schob sein Motorrad näher, um sie genauer in Augenschein zu nehmen.
    »Süß«, sagte er. »Die würde ich gerne vernaschen.«
    Die Nacht war stockfinster. Ein Baldachin aus Zweigen wölbte sich über ihnen, schirmte noch den kleinsten Lichtschein der Sterne ab. Chloe empfand keine Angst. Sie würdigte den anderen keines Blickes; ihr Augenmerk, ihr Hohn waren ausschließlich auf Zeke gerichtet.
    »Ich verachte dich.«
    »Das Gefühl hatte ich im Juni aber nicht«, sagte er.
    »Rede dir das ruhig ein.«
    »Ich muss mir nichts einreden.« Sein Tonfall ließ Ungeduld und die ersten Anzeichen von Wut erkennen.
    »Du bist jämmerlich, wenn du das wirklich glaubst.«
    »Ich glaube nur, was ich sehe.«
    »Wir haben dich in Newport gesehen.« Chloe erinnerte sich, wie sie mit Jane und den anderen auf dem Bannister’s Wharf gestanden und ihn entdeckt hatte, als er gerade einen Hotdog aß. »Und da hast du dich aus dem Staub gemacht.«
    »Wieso sollte ich den Wunsch haben, deine Eltern kennenzulernen? Die Mädchen, mit denen ich normalerweise ausgehe, verbringen ihre Abende an den Wochenenden nicht am Rockzipfel von Mama und Papa.«
    Chloe fand es seltsam zu hören, dass Jane für ihre Mutter gehalten wurde, was letztlich ja stimmte. Doch sie ließ sich nicht von solchen Gedankengängen ablenken und maß ihn mit Blicken, die ihn aus der Fassung brachten.
    »Du bist ein Feigling. Mir kannst du nichts vormachen.«
    »Schnapp sie dir, sie will es doch, sieh sie bloß an«, mischte sich sein Freund ein. Chloe ging langsam zu ihm hinüber. Sie sah ihm in die Augen. Dann hob sie die Schere hoch über ihren Kopf. Sie dachte an die Bilder von Babys, Müttern und Äpfeln, die sie gerade aus der Zeitschrift ihres Vaters ausgeschnitten hatte. Sie dachte an sich, an Jane und an den Schmerz, den Frauen erdulden mussten, weil es herzlose Männer gab. Dann stach sie die Schere mit voller Wucht in sein Vorderrad.
    »Verdammtes Miststück!«, brüllte der Freund und sprang von seinem Motorrad, als die Luft zischend aus dem Reifen wich.
    »Du hast dir gerade einen Reifen gekauft, Chloe«, sagte Zeke spöttisch. Sie blickte ihn an, dann stach sie in seinen Vorderreifen.
    »Zwei«, sagte sie. »Und du bist und bleibst ein Feigling.«
    »Du miese Fotze!« Die Adern an Zekes Hals schwollen an, als er sich mit einem Satz von seinem Motorrad schwang und Anstalten machte, sich auf Chloe zu stürzen. Sie hatte die Schere in der Hand, doch in der halben Sekunde, die ihr zum Nachdenken blieb, wurde ihr klar, dass es nicht in Frage kam, sie zu benutzen. Die Reifen waren eine Sache, aber sie war von Natur aus unfähig, einem Lebewesen ein Leid zuzufügen – nicht einmal einer Muschel, nicht einmal Zeke.
    Da sie schnell war und die Plantage besser kannte als jeder andere, blieb ihr nur die Flucht. Sie rannte den Hügel hinauf, von wo die Motorräder gekommen waren. Sie schlüpfte zwischen den Apfelbäumen durch, hörte die Jungen hinter ihr herjagen, alles zermalmend, was sich ihnen in den Weg stellte. Sie holten auf, aber sie fühlte sich, als besäße sie übermenschliche Kräfte.
    Sie hatte die Initiative ergriffen. Sie hatte Zeke die Meinung gesagt, die Atmosphäre bereinigt, die Plantage von unguten Erinnerungen befreit.

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