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Tanz im Mondlicht

Tanz im Mondlicht

Titel: Tanz im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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musste ihr nicht erzählen, was als Nächstes passieren würde.
    »Da kommt der Rest«, flüsterte sie.
    »Die ganze Familie«, fügte Dylan hinzu, als die Hirschkuh mit ihrem Jährling folgte. Die Tiere blieben am Straßenrand stehen, ihre Augen glänzten, wie Sterne im Wald. Dylan starrte die drei an, das Herz klopfte ihm bis zum Hals.
    »Die ganze Familie«, wiederholte Chloe mit Blick auf die Augen im Wald.
    Dylan wartete, bis er sicher sein konnte, dass alle Hirsche des Rudels die Straße überquert hatten und keine Nachzügler mehr kamen; dann fuhr er im Schritttempo weiter.
     
    Nach Hause zurückgekehrt, ging Chloe in den hinteren Teil des Gartens hinaus, um den Rest der Katzen zu füttern. Onkel Dylan hatte sie vor der Haustür abgesetzt, während ihre Mutter auf der Schwelle stand, vom Eingang eingerahmt und von hinten angestrahlt wie eine der Wirklichkeit entrückte religiöse Statue. Onkel Dylan hatte nur stillvergnügt in sich hineingelacht, Chloe angesehen und gesagt: »Keine Bange, du machst das schon. Deine Mutter ist eine vernünftige Frau.«
    »Klar«, hatte Chloe erwidert. Onkel Dylan kannte nicht die ganze Geschichte. In ihrer Familie pflegten sich Wutgefühle langsam zu entwickeln und aufzustauen, bevor sie explodierten wie ein Vulkan.
    Ihre Mutter hatte Chloe wortlos, mit fragender Miene in Empfang genommen. Statt zu schwindeln, hatte Chloe beschlossen, gleich mit der Wahrheit herauszurücken, dass Mr. Fontaine sie wegen der Zettel in sein Büro zitiert und fristlos entlassen hatte.
    Ihre Mutter hatte mit bebenden Nasenflügeln zugehört, die Arme über der Brust verschränkt. Dann hatte sie Chloes Vater herbeigerufen – aus seinem Arbeitszimmer, wo er am Computer saß und die Daten der Versicherungspolicen eintippte, die er tagsüber verkauft hatte –, so dass Chloe die ganze Geschichte noch einmal von vorn erzählen musste.
    Warum mussten ihre Eltern so nett, engelsgleich und am Boden zerstört aussehen? Sie standen gesittet da und blickten sie an, schmerzerfüllt und ungläubig blinzelnd, als hätte sie soeben den Plan verkündet, ihr Elternhaus zu verlassen, um sich der Guerillabewegung
Leuchtender Pfad
anzuschließen. Sie starrten sie an, hilflos und mit Tränen in den Augen, als wäre sie eine so abgrundtiefe Enttäuschung, dass ihnen die Worte fehlten. Die einzigen Anzeichen der Wut, die sich hinter der Fassade verbarg, waren die bebenden Nasenflügel ihrer Mutter und das gerötete Gesicht ihres Vaters. Außerdem der eisige Unterton in seiner Stimme, die wie ein Peitschenknall klang, als er sagte: »Ace Fontaine ist Mitglied im Rotary-Club, genau wie ich.«
    Und die zusammengepressten Lippen ihrer Mutter, die meinte: »Du wirst dir umgehend einen neuen Job besorgen. Du musst fürs College sparen, und falls du dir einbildest, wir würden dir das zusätzliche Geld für dein vegetarisches Katzenfutter geben, hast du dich getäuscht. Das Leben ist teuer, Chloe. Von Protestaktionen wird man nicht satt.«
    Chloe hatte sich entschuldigt. Dann war sie gegangen, zunächst erleichtert; es hatte weder ein Donnerwetter noch Hausarrest gegeben. Doch wie eh und je würde es einige Zeit dauern, bis sich die Wut aufgestaut hatte. Als wäre dieses Gefühl zu mächtig, um sich ihm unverzüglich zu stellen, entwickelte es sich in ihrer Familie auf Sparflamme. Ihre Eltern waren ordnungsliebende Menschen, und Wut brachte alles aus dem Gefüge. Sie war, wie andere chaotische Dinge, formell aus ihrem Elternhaus verbannt. Was hinter den Kulissen geschah, stand auf einem anderen Blatt. Wie Onkel Dylan gesagt hatte, war ihre Mutter eine vernünftige Frau. Und ihr Vater ein vernünftiger Mann. Zumindest bemühten sie sich, diesem Bild zu entsprechen.
    Sie stand im Garten hinter dem Haus. In der kühlen Frühlingsbrise bedeckte eine Gänsehaut ihre bloßen Arme. Sie schüttelte den Beutel mit dem Futter, und das Geräusch lockte die Katzen aus der ganzen Umgebung herbei. Sie brachten Leben in die Nacht. Sie sprangen von den Bäumen herab, krochen unter Büschen hervor, begrüßten sie mit lautem Geschrei und Miauen. Ihre Augen funkelten in der Dunkelheit, und sie hatte das Gefühl, mit Liebe überschüttet zu werden, wie die Mutter einer großen Familie. Sie liebte die Katzen über alle Maßen, konnte sich nicht vorstellen, auch nur eine einzige wegzugeben.
    Als Chloe Chadwick jünger war, hatte sie oft nach Sternschnuppen Ausschau gehalten, um sich etwas zu wünschen. An warmen Abenden war sie in den Garten

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