Tanz im Mondlicht
freute Dylan, dass Jane so großes Interesse an seiner Nichte bekundete.
»Prima.«
Dylan nickte. Ihm war heiß. Sein Herz klopfte wie verrückt. Die Küche war groß, wie auf dem Land üblich, und sie standen vier Meter voneinander entfernt, aber er konnte die Energie spüren, die sie verströmte. Sie trug Jeans und ein Sweatshirt – die Hose war hauteng und das Oberteil einige Nummern zu groß. Die Konturen ihres gertenschlanken Körpers waren unter dem Stoff zu erkennen, und er sehnte sich danach, sie in die Arme zu schließen, sie zu spüren.
Solche Gefühle hatte er seit langem nicht mehr gehabt, seit Jahren. Seit Amandas Tod genauer gesagt – und früher. In ihrer Beziehung hatte es seit geraumer Zeit Spannungen gegeben, die ihn veranlassten, sich abzuschotten. Er hatte sich auf seine Arbeit konzentriert, was ihm leichtgefallen war. Den Umfang seines Arbeitspensums konnte er selbst bestimmen: In New York City gab es immer Kriminelle, die es dingfest zu machen, und Kronzeugen, die es zu schützen galt.
Dann war er angeschossen und ins Krankenhaus eingeliefert worden, und bei seiner Entlassung hatte er den Schock noch nicht überwunden. Rückblickend war ihm klar: Seither hatte er sein Leben fortgesetzt wie ein Automat, ohne etwas zu empfinden. Er führte nur noch ein Schattendasein. Er verdrängte jeden Gedanken an seine Familie, seine Gefühle, seine Erinnerungen. Alles.
Wenn die Gefühle ihn zu überwältigen drohten, griff er auf eine alte Gewohnheit zurück, die er sich unlängst wieder zu eigen gemacht hatte: Er zündete sich eine Zigarette an. Er sah, wie Jane ihn anschaute.
»Stört es dich?«
Sie schüttelte den Kopf, nicht sehr überzeugend.
»Ich glaube doch.«
»Es ist nur nicht gut für dich«, sagte sie.
»Ich weiß.« Er stieß eine lange Rauchfahne aus und betrachtete Isabels Bild auf dem Kühlschrank. Er erinnerte sich, wie sie ihn angefleht hatte, mit dem Rauchen aufzuhören, als sie neun war. »Das hat meine Tochter auch immer gesagt.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hatte im Unterricht gelernt, wie schädlich das Rauchen ist. Damals habe ich häufig Überstunden gemacht und war nicht besonders oft zu Hause. Und wenn …« Er hätte Jane gerne von den häuslichen Spannungen erzählt, ihr gesagt, dass er ein guter Ehemann gewesen war und seine Frau geliebt hatte, aber nicht wiedergeliebt wurde. Doch er hasste Selbstmitleid und wollte Amanda nicht bloßstellen, nicht schlecht über eine Tote sprechen, und deshalb wechselte er lieber das Thema. »Wie auch immer, ich habe zu viel geraucht. Wir verbrachten die Sommerferien in Rhode Island, und Isabel und Chloe machten gemeinsame Sache, beknieten mich, damit aufzuhören.«
»Alle Achtung.«
Dylan nickte, versuchte zu lächeln. Er konnte ihr nicht sagen, dass ihm seine Gesundheit, sein eigenes Leben gleichgültig war. Während er die Plantage wieder zum Leben erweckte, war er sich selbst wie ein Zombie vorgekommen. Wen kümmerte es schon, wenn er das Zeitliche segnete? Isabel war die Einzige gewesen, der sein Tod nahegegangen wäre.
»Wart ihr hier, in diesem Haus?«
Vermutlich hatte er sie verwundert angeschaut, denn sie fuhr fort: »Ich meine damals, in den Sommerferien. Als die Mädchen neun waren.«
»Oh. Nein. Wir wohnten in Newport. Im Haus von Amandas Eltern.«
»Sie war aus der Gegend?«
»Sie verbrachte dort nur die Sommermonate. Sie wuchs in der Fifth Avenue auf. Aber die Familie besaß ein ziemlich imposantes Anwesen in der Bellevue Avenue.«
»Eines dieser alten Herrenhäuser?«
Er nickte. Jeder in Rhode Island kannte Newport. Aber die meisten Menschen, selbst diejenigen, die ihr ganzes Leben in diesem Staat verbracht hatten, besuchten die Stadt als Touristen. Sie promenierten auf dem Cliff Walk, fuhren mit dem Wagen die Bellevue Avenue oder mit dem Fahrrad den Ocean Drive entlang; sie nahmen einen Drink im Candy Store oder im Black Pearl, gingen zum Abendessen in The Pier oder zum Brunch ins Inn auf dem Castle Hill. Sie malten sich aus, was für ein Gefühl es sein mochte, hier eine Yacht zu besitzen, in einem Kalksteinpalast zu wohnen, an einer Party im Harbor Court teilzunehmen.
»Und, wie war’s?«, fragte Jane.
»Das Haus? Es war aus Marmor und –«
»Nein, ich meine, wie war das Leben dort?«
Dylan dachte an die Abendessen mit schwarzer Krawatte, an die Segelyacht von Amandas Vater, eine Hinckley Bermuda 40, an den Wohltätigkeitsball ihrer Mutter, an die Mitgliedschaft im Bailey’s Beach und im
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