Tanz im Mondlicht
Reading Room. »Anstrengend«, antwortete er.
»Wirklich?« Sie lächelte.
»Ja. Ständig war man zu irgendetwas eingeladen. Isabel und ich wollten nur schwimmen gehen oder am Strand spielen, aber ein Fest jagte das andere, und wir mussten uns jedes Mal in Schale werfen.«
»Amanda stammte aus einer prominenten Familie?«
»So könnte man es ausdrücken.« Er erinnerte sich, wie er einmal gesagt hatte, die Familie besäße keine Bibel – aber ein Social Register, ein Nachschlagewerk, das die Namen aller prominenten Mitglieder der Gesellschaft verzeichnete.
Jane betrachtete ihn nachdenklich, als wollte sie ergründen, wie er in ein solches Leben gepasst hatte. Sein Blick fiel auf sein Spiegelbild in der Fensterscheibe – mit Bart und fadenscheinigem alten Hemd – und es war ihm selbst unverständlich.
»Die Familie lebte verhältnismäßig bescheiden und unauffällig«, sagte er. »Ihr Vater fuhr einen Bentley – ein Rolls-Royce war ihm wegen der Kühlerfigur zu protzig. Und er ließ den Wagen von seinem Chauffeur waschen, mit dem Gartenschlauch hinter dem Haus, statt das Geld in einer Autowaschanlage zu verpulvern.«
Jane lachte. »Solche Leute habe ich auch unter meinen Kunden. Ich schicke meine Mitarbeiterin in die Park Avenue, um eine riesige, herrliche Torte auszuliefern, und die Gastgeberin speist sie mit einem Dollar Trinkgeld ab.«
»So halten sie ihr Geld zusammen, habe ich mir sagen lassen. Amandas Eltern sahen in Trinkgeldern einen Affront für das freie Unternehmertum. Sie meinten, wenn die Firmen und Geschäftsleute ihren Angestellten anständige Gehälter zahlen würden, wären Trinkgelder bald überholt und die armen Arbeitnehmer nicht mehr von den Launen der Verbraucher abhängig.«
»Aha, jetzt begreife ich«, sagte Jane lachend. »Sie haben ihren Teil dazu beigetragen, diese Launen in Schach zu halten und das freie Unternehmertum zu fördern. Das muss ich meiner nächsten Mitarbeiterin erzählen.«
»Sie wiesen Isabel ständig darauf hin, dass ihr Erbe auf diese Weise unangetastet blieb.«
Janes Lachen erstarb.
Dylan hatte nicht vorgehabt, die heitere Stimmung zu verderben, doch genau das geschah. Isabel war präsent – immer und überall. Dass ihr Erbe letztlich sicherer gewesen war als sie selbst, entsprach unbestreitbar und unverhohlen dem Lauf der Welt. Dylan drückte seine Zigarette aus.
Der Kaffee war fertig. Dylan füllte beide Becher und reichte einen Jane. Sie nahm ihn entgegen, dann nahm sie ihm den anderen ab und stellte beide auf die Frühstückstheke. Seine Hände waren nun leer. Sie sah ihn an. Er spürte sein Herz in der Brust hämmern.
»Erzähl mir von ihr«, sagte Jane.
»Sie war etwas ganz Besonderes.«
Etwas ganz Besonderes: Das Wort hing flimmernd in der Luft. Jane schloss die Augen; ihr Mund war leicht geöffnet, als ließe sie sich die Worte auf der Zunge zergehen.
»Sie war humorvoll – lachte gerne. Wir hatten viel Spaß miteinander. Sie wusste, dass ich so eine Art Polizist bin, und dachte sich Kriminalfälle aus, die ich lösen sollte. Sie musste mir immer auf die Sprünge helfen …«
»Einfallsreich.«
»Sehr. Und gewieft. Wenn ich an der Reihe war, knobelte ich die kompliziertesten Szenarien aus, aber es gelang ihr jedes Mal, dem Rätsel auf die Spur zu kommen.«
Jane ging langsam zum Kühlschrank, an dem das Foto von Isabel und Chloe mit Magneten befestigt war. Dylan nahm es herunter und reichte es ihr, damit sie es genauer in Augenschein nehmen konnte. Seine Tochter sah so sanft und gut behütet aus, mit ihren runden Wangen und leicht gelockten Haaren – sie lächelte, wirkte gelöst. Die dunkelhaarige Chloe wirkte daneben wie ein verwahrlostes Kind, kantig und mit einem Lächeln, hinter dem sich Kummer oder Sorgen verbargen.
»Hübsche Mädchen«, flüsterte sie.
»Völlig unterschiedlich, was das äußere Erscheinungsbild betraf. Aber sie standen sich sehr nahe.«
»Du sagtest, dass du dich mit Chloe unterhalten hast …«
»Ja. Als ich nach der Schießerei zum ersten Mal wieder nach Rhode Island kam. Chloe hatte mit niemandem mehr gesprochen.«
Jane sah ihn an. Dylan nahm ihr das Foto aus der Hand, betrachtete es eingehend. »Sie war sehr einfühlsam. Isabels Tod war ein schwerer Schlag für sie. Sie wusste, wie sehr mich ihr Verlust treffen würde … und sie trauerte
zutiefst
um ihre Cousine.«
»Sie war damals erst elf.«
»Richtig. Trotzdem weiß sie, was es bedeutet, einen Menschen zu verlieren. Ich würde meinem
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