Tanz mit dem Engel
und da habe ich es gesehen. Das ganze... Blut.«
»Was hat James gemacht?«
»Er hat nur geschrien.«
»Hat er etwas oder jemand gesehen?«
»Ich habe versucht, mit ihm zu sprechen.«
»Sie selbst haben niemanden hinaufgehen sehen?«
»Nein. Ich sitze wohl nicht so viel draußen am Schalter, wie ich eigentlich müßte.«
»Kein Gerenne auf der Treppe... danach?«
»Nein.«
»Gar nichts?«
»Nichts, was ich gehört hätte.« »Aber James hat etwas gehört?«
»Das muß er wohl«, sagte der Vater, »und es muß etwas... Seltsames gewesen sein, denn er bleibt nie stehen, belästigt nie die Gäste.«
»Er hat es unterbrochen«, sagte Winter.
Der Sohn wandte Winter das Gesicht zu, und seine Augen fanden Halt.
»Eeeer ist rauuus«, sagte der Sohn.
»Er ist herausgekommen?« fragte Winter.
Der Sohn nickte heftig, umklammerte die Hand seines Vaters.
»Ist der Junge herausgekommen?« fragte Winter, »der Junge, der da gewohnt hat?«
Keine Antwort.
»Ist ein großer Mann herausgekommen?«
Die Augen des Sohns waren wieder auf Wanderschaft, kehrten zurück und machten bei Winter halt.
»Ich haaab geschlaaagen«, sagte der Sohn.
»Ja.«
»Ich haaab auf die Tür geschlaaagen.« »Ja.«
»Eeer ist rauuusgekommen.« »Wer ist herausgekommen, James?« »Eeer.« »Der Junge?«
Der behinderte Sohn schüttelte immer heftiger den Kopf, »Eeer.«
»Ein anderer? Nicht der Junge?«
»Eeer«, sagte der Sohn und zitterte am ganzen Leibe.
»Es muß jemand anders sein, den er meint«, sagte der Vater.
»Irgendein Besucher. Nicht dieser Junge.« Er wandte sich an seinen Sohn.
»War er weiß wie er?« fragte er, indem er Winters Arm packte und mit dem Finger auf die Haut zeigte.
Der Sohn antwortete nicht. Er hörte nicht auf zu zittern, während er sich hin und her bewegte wie zu einem Lied.
»James. War der, der nicht in dem Zimmer gewohnt hat, weiß wie die beiden, die da auf den Stühlen sitzen?«
Der Sohn antwortete nicht.
»Ich glaube, er muß jetzt ins Krankenhaus gebracht werden«, sagte der Vater.
»Schwaaarz«, sagte der Sohn plötzlich und faßte sich an den Kopf, zog die Hände nach unten, strich sich über die Schläfen.
»Schwarz?« sagte der Vater, kniff sich in die eigene Haut und hielt seinem Sohn den Arm vors Gesicht. »Schwarz wie du und ich?«
»Schwaaarz«, wiederholte der Sohn und schüttelte den Kopf und zog die Hände über die Seiten des Gesichts.
»Schwarzes Haar. Hatte er schwarzes Haar?« fragte Macdonald und strich über seine rechte Schläfe.
Der Sohn fuhr zusammen.
Macdonald nahm den Gummiring um den Pferdeschwanz ab und ließ sein Haar über die Schultern fallen.
»Schwarzes langes Haar?« fragte er noch einmal und zog an seinen langen Strähnen.
Der Sohn zuckte, wiegte sich hin und her wie in tiefer Trauer. Die Augen glichen schwarzen Löchern.
»Schwaaarz«, sagte er wieder und zeigte auf Macdonald.
»Und weiß?« fragte Macdonald und strich sich übers Gesicht, drückte beide Backen.
»Weiß? Ein weißer Mann? Weiße Haut?«
»Weiiiß«, sagte der Sohn.
39
Sie saßen in Macdonalds Zimmer, zum erstenmal seit zwölf Stunden allein. Macdonalds Augen ähnelten Koksstückchen. Die Haut im Gesicht sah aus, als wäre sie direkt auf die Backenknochen geklebt. Das Haar fiel immer noch offen auf die Schultern. Die Lederjacke hing über dem Stuhl.
Winter trug einen Sakko und schwarze Jeans, ein graues Button-down-Hemd, keinen Schlips, schwarze Boots. Stoppeln warfen einen Schatten auf Kinn und Backen.
Aus mit der skandinavischen Eleganz, dachte Macdonald.
»Du bist jetzt mehr als ein Beobachter, aber das weißt du selbst«, sagte er.
»Wann treffen sich alle?« fragte Winter.
Macdonald hob den Arm und sah auf die Uhr.
»In einer Stunde.«
Es dämmerte. Macdonalds Gesicht war vom letzten Licht durch die Jalousien in blaue Streifen geschnitten.
»So nah kommen wir nie mehr heran«, sagte Winter.
»Wenn es unser Mann ist.«
»Andernfalls haben wir ein neues Problem, oder?«
»Also ist es unser Mann«, meinte Macdonald.
Es schrillte unter irgendwelchen Papieren. Macdonald schob die Dokumente fort und griff zum Telefon. Winter sah, daß es ein Teil einer Reinschrift von Macdonalds Richtliniendossier war. Ich halte mich streng an diesen Ordner, hatte Macdonald früher einmal gesagt, der wird alles rechtfertigen, was ich tu'. Ich will den Rücken frei haben, will meine Entscheidungen begründen können, wenn ich einmal im Monat den DSI zu einer Durchsicht
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