Tanz mit dem Engel
hin.
»Es kommen so viele Touristen«, sagte der junge Mann.
»Es können zwei gewesen sein«, sagte Winter.
Der Mann schüttelte den Kopf, während er die Karte festhielt.
»Kann ich nicht sagen«, sagte er, »wir sind wieder der Mittelpunkt der Welt geworden, und es kommen viele
Leute her.«
»Viele Weiße?«
»Sehen Sie sich um«, sagte der Junge, und er hatte recht.
Am Nachmittag fuhren sie zu Geoff Hilliers Eltern. Die Stadtlandschaft wurde Winter allmählich vertraut, aber das beruhte vielleicht darauf, daß die Häuser sich im Charakter immer gleich blieben.
»Man ist der Ansicht, daß ich zu Hause bleiben und lesen soll, aber du weißt, wie das ist«, sagte Macdonald.
»Monoton«, bemerkte Winter.
»Monoton wie die Hölle. Wenn wir so lang wie jetzt an einem Fall gearbeitet haben, kommt ein schöner Haufen Papierkram zusammen. Man kann nur eine gewisse Menge Informationen auf einmal aufnehmen. Bleibt man länger darüber sitzen, stumpft man den Instinkt ab.«
»Folgst du ihm? Dem Instinkt?«
Macdonald lachte kurz auf. Es klang, wie wenn jemand einen Kratzer über Autolack zieht.
»Warum bist du selbst in London?« fragte er und warf einen raschen Seitenblick auf Winter. »Der Instinkt ist vielleicht das Wichtigste, was wir bei dieser Arbeit haben. Die Intuition, in der Bedeutung von Vermögen, unmittelbar oder allmählich zu erfassen, was hinter den Worten liegt.«
»Die Routine kann uns nur über den halben Weg helfen« sagte Winter. »Danach ist etwas mehr gefragt, etwas anderes.«
»Das hört sich tiefsinnig an«, meinte Macdonald. »Aber du mußt am Ort des Verbrechens sein oder wie?« »Wir haben ein Bereitschaftsdienstsystem«, erklärte
Macdonald, »wir rotieren im Acht-Wochen-Rhythmus. Acht Schichten mit Acht-Wochen-Rotation. Von sieben Dienstag morgen bis sieben am nächsten Dienstag morgen.«
»Das ist wohl nicht immer ideal?«
»Nein, aber die Leute können nicht immer dasein.«
»Sie können auch mitten in einer anderen Morduntersuchung stecken.«
»Ja.«
»Aber wenn du Bereitschaftsdienst hast und dann nach vier, fünf Stunden an eine andere Gruppe übergibst, dann sind das verlorene Stunden.«
»Kann schon sein«, sagte Macdonald.
»Sie sind verloren.«
»Es ist nicht gut, nein.«
»Wer ist diese Woche dran?«
»Macdonald, in der Tat«, sagte Macdonald.
»Und noch hat sich nichts Neues ereignet«, sagte Winter.
Die Züge kamen und gingen vor Hilliers Haus. Alles war wie zuvor. Der Mann saß auf dem Sofa, und im Zimmer roch es nach Alkohol. Die Frau trug ein Tablett herein. Der Mann holte drei Gläser heraus und schenkte Whisky ein. Macdonald nickte Winter verstohlen zu. Sie setzten sich. Der Mann stellte die Gläser vor sie. Sie waren randvoll.
»Ich habe nichts mehr zu sagen«, begann er.
»Wir tun alles, was wir können, und es wird etwas dabei herauskommen«, sagte Winter.
»Das sagt er auch«, sagte der Mann und zeigte auf
Macdonald. »Er hat recht«, sagte Winter.
»Sind das Sie gewesen, mit dem wir schon einmal am Telefon geredet haben?« fragte der Mann.
»Nein, ein Kollege«, antwortete Winter.
»Hat gut englisch gesprochen. Die Begegnung mit der Polizei ist wichtig, Untersuchungen haben ergeben, daß die Begegnung mit Polizisten einen kritischen Punkt für Verbrechensopfer und Hinterbliebene darstellt.«
Winter nickte und sah Macdonald an.
»Stützende Haltung der Polizei scheint ein Schutzfaktor gegen Depression zu sein«, fuhr der Mann fort, »während negative Reaktionen seitens der Polizei in dem akuten Abschnitt mit eine Ursache zur Ausbildung von Depressionen zu sein scheinen.«
Der Mann sprach mit monotoner Stimme, den Blick an Winter vorbei nach rechts gerichtet, als läse er von einem Teleprompter ab, der neben einer Kamera auf dem Boden neben dem schwedischen Kriminalpolizisten lief.
»Fühlen Sie sich schlecht behandelt, Mr. Hillier?« fragte Winter.
»Die Polizei scheint in gewissen Fällen auch die Schwierigkeiten für das Verbrechensopfer zu verschlimmern, indem sie es indirekt dazu bringt, sich schuldig zu fühlen oder Angst zu haben«, leierte der Mann herunter.
Macdonald wandte sich an die Frau, Geoff Hilliers Mutter.
»Sie haben nichts mehr gefunden, was. Geoff gehört hat. etwa einen Brief.«
»Der Kontakt kann zur Kollision zwischen gefühlsmäßigen Bedürfnissen des Verbrechensopfers und der Suche der Polizei nach detaillierten Angaben zum Verbrechen werden«, sagte der Mann und trank wieder.
»Es gibt da keine
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