Tanz mit dem Engel
kann.
Er sagte guten Abend und ging hinaus in das Nachmittagslicht. Nach Westen hin hingen die Wolken wie in Fransen. In einer Stunde würde es dunkel sein. Er ließ den Wagen an, wendete auf der Straße und fuhr hoch bis Station Rise, unter den kleinen Bahnhof, von dem aus die Züge auf das Haus der Familie Hillier zielten. Er parkte an der Grenze des erlaubten Bereichs, betrat The Railway, bestellte einen Young's Winterwarmer und wartete, bis das Bier klar geworden war, aber keine Sekunde länger.
8
Winter las. Er gönnte sich zwei Zigarillos. Der Vormittag im Dienstzimmer bekam einen Spritzer Blau vom Fenster hinter ihm. Der Hals fühlte sich besser an, vielleicht war es das Nikotin, der weiche Rauch.
Die Zeugenprotokolle waren strikt wörtlich, und er mußte hin und wieder ein wenig über die Formulierungen schmunzeln. Er machte regelmäßig Notizen in ein kleines Buch mit schwarzem Wachstucheinband.
Was jetzt trivial wirkte, bekam immer eine Bedeutung.
Sie hatten mit allen gesprochen, die um Mossen lebten, das heißt, was davon noch übrig war, nachdem Chalmers sich in der Gegend ausgedehnt hatte. Ein bißchen mehr, und es hätte kein Studentenwohnheim mehr gegeben, dachte Winter und klopfte vorsichtig die Asche über der schweren Glasschale vor ihm aus; weniger Leute, mit denen man sprechen konnte, weniger Studenten, die gerade aus diesem Korridor flohen. Das Leben geht weiter, aber anderswo.
Der Dienstapparat läutete.
»Ja«, antwortete er rasch.
Die neue Frau in der Zentrale. Winter erkannte die Stimme wieder, vielleicht weil sie so hübsch war, daß er den Blick eine Winzigkeit länger auf ihr hatte ruhen lassen, als er beim erstenmal nickend vorbeigegangen war.
»Hier ist einer von der Presse, GT. Er sagt...«
»Sag ihm, er soll sich zum Teufel scheren«, sagte Winter kurz, »aber drück es anders aus.«
Er hörte, wie sie vielleicht den Mund zu einem Lächeln verzog.
»Ich glaube, ich habe gesagt, ich will nicht gestört werden«, fuhr er fort, aber mit milder Stimme.
»Ich bitte um Entschuldigung, aber er behauptet, daß er dich kennt und daß es wichtig ist.«
Winter betrachtete den Rauch vom Zigarillo in der rechten Hand und ließ den Stift in der linken fallen, weil es unbequem war, auch noch den Telefonhörer zu fassen.
»Wichtig? Seit wann kommt die Presse mit etwas Wichtigem?«
»Dann bitte ich ihn, sich noch einmal zu melden oder etwas in der Richtung.«
»Wer ist es?«
»Er heißt. Moment. Hans Bülow.«
Winter überlegte. Der Zigarillo ging in seiner Hand aus.
»Stell ihn durch.«
Nach all den Jahren im Beruf war es ausgeschlossen, keine Kontakte zu Journalisten zu haben, und Winter bezog nicht wie ein Teil seiner Kollegen prinzipiell Stellung gegen diesen nervtötenden Berufsstand. Alle nutzten alle aus. Er hatte früh die Möglichkeiten erkannt, die Publizität in den Medien bei einem Teil der Fälle bieten konnte. Mitunter war es gut zu sprechen, wenn man wußte, was man sagte, wenn man es zuvor durchdacht hatte, und er sah das Bild von zwei oder drei Überschriften vor sich, als er darauf wartete, daß die Leitungen Bülows Stimme zu seinem Ohr führten. Außerdem dachte er von gewissen Reportern weniger schlecht. Bülow war einer von ihnen.
»Hallo, Erik. Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, daß ich dich mitten in der Arbeit störe.«
»Ja.«
»Das kommt.«
»Jetzt keinen Blödsinn, Hans. Was willst du?«
»Es geht natürlich um den Mord an dem Jungen. Aber ihr habt euch ganz schön in Schweigen gehüllt, was die Verbindung mit England betrifft.«
»Verbindung?«
»Teufel noch mal, Erik. Ein schwedischer Junge in London ermordet und das Entsprechende in Göteborg, und es ist auf die gleiche Art und Weise passiert.«
»Haben Sie die Obduktion vorgenommen, Doktor Bülow?«
»Man braucht sich nicht für Pathologie zu interessieren, um hier einen Zusammenhang zu sehen.«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich darauf antworten soll.«
»Habt ihr mit den Bullen in London gesprochen?«
»Das ist aber eine dumme Frage.«
»Was?«
»Wie du weißt, sprechen wir mit niemandem. Wir korrespondieren mit Interpol, die unsere Stimmen an den übermittelt, den es angeht.«
»Aha.«
»Das weißt du. Das ist das Prozedere.«
»Und darüber werden die Spuren kalt.«
»Wenn es sein muß. Aber wir haben unsere Regeln, und wie würde die Gesellschaft aussehen, wenn man sich nicht an Regeln hielte?«
»Weil du keinen Regeln folgst, weiß ich jetzt also, daß ihr mit den
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