Tanz mit dem Engel
Kategorie. Mehr und mehr und mehr. Wo das endet, ist schwer zu sagen. Und dann gibt es die andern, die davon sexuell erregt werden, daß sie fast erdrosselt werden, oder die sich amputieren lassen, die zu Krüppeln werden, um genießen zu können. Wer weiß, was die sich angucken wollen?«
»Wo findet man die?«
»Die Amputierten?«
»Diese kranken Teufel überhaupt. Also wenn sie nicht im Klub oder zu Hause oder im Hotelzimmer sind.«
»Da ich BMW fahre, würde ich sagen, in der Volvozentrale«, sagte Bölger. »Oder in welchem verdammten Aufsichtsrat auch immer. Oder bei der Provinzialregierung. Da gibt es viel Krankes. Die Zustandseinheit.«
»Richtig abscheulich«, sagte Bergenhem und stand auf.
»Seien Sie da draußen vorsichtig«, sagte Bölger. »Ich meine es ernst.«
Bergenhem winkte von der Tür und ging hinaus ins Helle. Er hörte den Wind von den Hausdächern ringsum. Der Wind nahm zu, hob seinen Kragen und zerrte am Haar. Irgendwo hinter ihm wurde ein Glas zerschmettert.
16
Die Jungen an den Obstständen schrien sich über die Kreuzung Obszönitäten zu, und Steve Macdonald duckte sich unter den Worten. Das hier ist Soho, die Ecke Berwick Street und Peter Street, und seht euch an, was aus unserer stolzen Obstmarkttradition geworden ist, dachte er, seht euch an, was daraus geworden ist, seit man den Covent Garden meiner Jugend dichtgemacht und das herrliche Leben aus dem Zentrum verbannt hat.
Das ist daraus geworden, halbbetrunkene Bengel, die auf Bananenschalen ausrutschen, einige klägliche Stände für einige wenige neugierige Touristen und um so mehr Heroinsüchtige. Soho swingt nicht mehr, es kriecht und krabbelt, wenigstens hier, wo dieser leere Platz das Schönste weit und breit ist.
Es nieselte, und Macdonald klappte den Kragen des Regenmantels hoch und machte einen großen Schritt über eine zerquetschte Fleischtomate. Er betrat Walkers Court, eine Gasse so kurz, unansehnlich und schmutzig, daß sie nicht einmal in der neuen Auflage von London A-Z auftauchte. War das vielleicht Absicht? dachte er, Walkers ist nichts, was man den rotbackigen Touristen aus Italien oder Skandinavien vorzeigen könnte, die in Heathrow oder Gatwick heruntergepurzelt kommen.
Walkers Court war Porno ohne Seidenlaken und ohne die kerngesunden Modelle, die im Playboy die Harnröhre zeigten, dachte Macdonald und schüttelte gleichzeitig den Kopf über einen ehrgeizigen Einwerfer vor einem der Kinos. Hier gab es eher schwitzende Junkies auf zerschnittenen PVC-Decken, Billigsex für die breite Masse, books, mags, videos für diejenigen, die vielleicht herkamen, um sich selbst zu sehen, als wären sie in einer anderen Welt gewesen.
Vielleicht kaufen sie etwas von den Plastikkleidern in diesen raffinierten Geschäften, dachte er. In gewissen Situationen ist Plastik gut. Oder diese Hundeleine oder Würgeschlinge. Dies ist ein freies Land, wir haben alle das Recht auf ein Privatleben. Ein Teil zündet sich im stillen Heim eine Zigarette an, andere entleeren den Darm ins Gesicht von Fremden.
Er ging an der großen Buchhandlung der Gasse vorbei, die etwas fehl am Platz aussah mit ihren Schildern über die neueste gute Literatur, Bücher für die gebildete Mittelschicht: Naipaul und Raban, eine neue Chatwin-Biographie.
Macdonald wußte, daß der Besitzer der Buchhandlung ein komplizierter Charakter war. Die oberen Ebenen im Laden waren kühl und blond, gefüllt mit Romanen, Poesie, Reiseliteratur und Kochbüchern. Dort waren auch auffallend wenige Kunden, dafür daß es eine Buchhandlung im Zentrum Londons war. Im Keller, den man über eine Treppe hinter einem Vorhang erreichte, wurden andere Arten von Büchern angeboten. Da gab es Zeitschriften, die mutig der Jugendkultur trotzten, Lektüre wie >Über vierzig< oder >Über fünfzig< mit Bildern von mittelalten Frauen. Der Kellerraum war immer voller Lesender, durchweg Männer, wie der da, dachte Macdonald, als er einen Mann in seinem Alter herauskommen sah, der etwas in einer flachen braunen Tüte trug.
Macdonald würde mehr gute Literatur lesen, aus dem oberen Stockwerk, wenn er pensioniert wäre. Er war 37, und er hatte seinem Land gedient, seit er 23 war. Noch elf Jahre. Danach konnte er Privatdetektiv werden und nach durchgebrannten Teenagern aus Leeds suchen, die auf dem Weg ins Innere von London waren. Oder für Harrod's arbeiten und dort die Austernbar im Auge behalten. Oder in seinem Haus in Kent mit seinen Kindern oder vielleicht Enkeln schmausen, nie weit
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