Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
ja?«
    »Ja.«
    »Du hast dich also kaum mit schönen Frauen abgegeben?«, forschte sie nach und zündete sich die zweite Virginia Slim an. Ich sah einen Polizisten an der Kreuzung, nahm ihr die Zigarette weg und schmiss sie aus dem Fenster.
    »Mit ein paar hübschen Mädchen habe ich mich schon verabredet. Aber du bist schöner. Ehrlich. Ich weiß nicht, ob du das verstehst, aber deine Schönheit wirkt individuell, ganz anders als bei anderen Mädchen. Ich habe eine Bitte, lass das Rauchen im Wagen. Wenn dich jemand sieht. Und außerdem stinkt das ganze Auto danach. Ich habe dir ja bereits gesagt, dass Mädchen, die so früh mit dem Rauchen anfangen, später Probleme mit ihrer Periode bekommen.«
    »So ’n Quatsch«, entgegnete Yuki.
    »Erzähl mir jetzt was von dem Mann mit dem Schafsfell«, bat ich sie.
    »Dem Schafsmann?«
    »Woher weißt du das, ich meine, wieso kennst du seinen Namen?«
    »Du hast ihn selbst so genannt, neulich am Telefon.«
    »Ach wirklich?«
    »Ja doch«, sagte Yuki.
    Wir standen im Stau, und es dauerte jedesmal zwei Ampelphasen, bis es weiterging.
    »Also nun sag schon, wo hast du den Schafsmann getroffen?«
    Yuki zuckte die Schultern. »Ich bin ihm nie begegnet. Er kam mir nur in den Sinn, als ich dich sah«, sagte sie und wickelte sich eine Strähne ihres feinen, glatten Haars um den Finger. »Ich hatte nur so ein Gefühl. Dass da ein Mann ist, der sich ein Schafsfell umgehängt hat. Aber es war eher eine Ahnung – wie ein Lufthauch. Jedes Mal wenn ich dir in dem Hotel begegnet bin, hatte ich dieses Gefühl. Deshalb habe ich davon gesprochen. Ich weiß eigentlich gar nichts über ihn.«
    Während ich auf Grün wartete, versuchte ich, das Ganze zu begreifen. Ich musste meinen Grips anstrengen, meine Schraube da oben hochdrehen, und zwar sehr hoch.
    »Was meinst du mit Hauch?«, bohrte ich weiter. »Heißt das, du hast den Schafsmann gesehen? Ich meine als Bild?«
    »Das lässt sich schwer sagen«, erwiderte Yuki. »Wie soll ich es beschreiben? Ich habe den Schafsmann nicht bildhaft vor mir gesehen, verstehst du? Es war eher so, dass das Gefühl eines anderen, der ihn gesehen hat, mich erreicht hat wie Luft. Eben unsichtbar. Aber trotzdem spüre ich es und kann es in eine Gestalt umsetzen. Oder besser gesagt, nicht in eine Gestalt, sondern in etwas Gestalthaftes . Wenn ich es jemandem zeigen würde, wüsste derjenige gar nicht, was das sein soll. Es ist etwas, das nur ich allein begreife. Ich kann’s nicht besser erklären. Verstehst du, was ich meine?«
    »So ungefähr«, sagte ich ehrlich.
    Yuki runzelte die Stirn und kaute auf dem Sonnenbrillenbügel herum.
    »Meinst du es vielleicht so? Du nimmst etwas in mir wahr, oder etwas, was mir anhaftet? Ein Gefühl oder eine Vorstellung.«
    »Eine Vorstellung?«
    »Einen intensiven Gedanken. Und den kannst du dann visualisieren, wie einen symbolischen Traum. Ist es so?«
    »Ja, vielleicht. Ein intensiver Gedanke – aber es war noch mehr. Etwas steckte dahinter. Etwas, das diesen intensiven Gedanken erzeugt. Etwas Machtvolles. Eine Energie, die Gedanken hervorbrachte. Ich kann spüren, dass sie da ist. Sie überträgt sich auf mich. Und das kann ich dann sehen. Aber nicht wie im Traum. Eher wie ein leerer Traum. Das ist es! Ein leerer Traum. Niemand ist da, man sieht nichts. So wie die Kontrasteinstellung beim Fernsehen – wenn du auf ganz hell oder ganz dunkel stellst und nichts mehr zu erkennen ist. Und trotzdem ist da jemand. Wenn man ganz stark blinzelt, kann man ihn spüren. Und dieser Jemand ist der Mann mit dem Schafsfell. Er ist kein Bösewicht. Eigentlich ist er gar kein menschliches Wesen. Aber auf keinen Fall ein Ungeheuer. Nur unsichtbar. So als wäre er mit Geheimtinte gezeichnet. Trotz seiner Unsichtbarkeit erkennt man ihn. Eine formlose Gestalt.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Miserabel, meine Erklärung.«
    »Ganz und gar nicht, du hast es sehr gut beschrieben«, sagte ich.
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich. Ich glaube, ich verstehe jetzt, was du meinst. Es dauert nur etwas, bis ich es verarbeitet habe.«
    Wir hatten die Stadt hinter uns gelassen und erreichten Tsujidô am Meer. Ich stellte den Wagen auf dem Parkplatz an einem Kiefernwald ab. Es standen nur wenige Autos dort. Ich schlug Yuki einen kleinen Spaziergang vor. Es war ein herrlicher Aprilnachmittag, fast windstill mit einer ganz sanften Brandung. Die Wellen plätscherten so leise an den Strand, als würde jemand auf hoher See heimlich Laken ausschütteln. Ein

Weitere Kostenlose Bücher