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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wahr?«
    »Selbstverständlich«, entgegnete Schöngeist. »So ist das nun mal bei den Behörden. Es zählen nur Dokumente. Ohne Abschrift und Fingerabdrücke ist alles ungültig.«
    Ich presste die Fingerspitzen gegen die Schläfen und hatte das Gefühl, dort sei ein Fremdkörper eingedrungen, hätte seinen Weg dahin gefunden und sich dann aufgebläht. Jetzt war er nicht mehr zu entfernen. Leider zu spät. Ein bisschen früher hätten Sie es noch geschafft. Tut mir schrecklich leid.
    »Keine Sorge, es wird nicht lange dauern. Wir sind gleich fertig.«
    Und abermals antwortete ich apathisch auf überflüssige Fragen. Dann kehrte Fischer ins Zimmer zurück und rief Schöngeist auf den Korridor. Dort standen sie, was weiß ich wie lange, und flüsterten. Währenddessen lehnte ich mich zurück, starrte hoch zur Decke und studierte die dunklen Stockflecken in den Ecken. Sie sahen aus wie die Schambehaarung auf dem Leichenfoto. Entlang der Risse an den Wänden setzten sich die verschwommenen Punkte weiter nach unten hin fort. Das gesprenkelte Bild ähnelte einem Fresko. Schweiß und Ausdünstungen unzähliger Kreaturen, die im Laufe von Jahrzehnten hier gesessen haben mussten, hatten diesen dunklen Schimmel gezüchtet. Eine Ewigkeit keine Außenwelt mehr zu Gesicht bekommen. Keine Musik mehr hören können. Ein schrecklicher Ort. Mit allen erdenklichen Methoden wurde hier versucht, Würde, Gefühle, Stolz und Glauben in den Menschen zu ersticken. Man wird seelisch malträtiert, ohne sichtbare körperliche Spuren. Hineingezogen in ein bürokratisches Labyrinth, das einem Ameisenstaat gleicht. Die maximale Ausbeutung menschlicher Angst. Ferngehalten vom Tageslicht und vollgestopft mit Junkfood. Das treibt üblen Schweiß aus den Poren. Und dann bildet sich Schimmel.
    Ich legte beide Hände auf den Tisch, schloss die Augen und dachte an das Schneegestöber in Sapporo. An das protzige Dolphin Hotel und meine Freundin von der Rezeption. Wie mochte es ihr wohl ergehen? Hinter dem Empfangsschalter mit ihrem professionellen Lächeln? Ich hätte sie jetzt gerne angerufen und mit ihr geredet. Oder blöd herumgealbert. Aber ich kannte nicht mal ihren Namen. Ich kenne nicht mal ihren Namen. Wie sollte ich sie da anrufen? Ein süßes Mädchen. Besonders, wenn sie beschäftigt ist. Die Fee des Hotels. Sie liebt ihre Arbeit dort. Im Gegensatz zu mir. Ich habe meine Jobs nie gemocht. Obwohl ich immer anständige Ergebnisse abliefere. Sie hingegen liebt das Arbeiten schlechthin. Außerhalb ihres Arbeitsplatzes wirkt sie sehr zerbrechlich. Unsicher und verletzlich. Ich hätte mit ihr schlafen können, wenn ich gewollt hätte.
    Ich würde gerne noch einmal mit ihr reden.
    Bevor auch sie von jemandem umgebracht wird.
    Bevor sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

23
    Die beiden Beamten kamen ins Zimmer zurück und blieben stehen. Ich starrte immer noch gedankenverloren die Stockflecken an.
    »Sie können jetzt gehen«, teilte Fischer mir ausdruckslos mit. »Danke für Ihre Mitarbeit.«
    »Ich darf gehen?«, fragte ich verblüfft zurück.
    »Das Verhör ist beendet. Wir sind fertig«, erklärte Schöngeist.
    »Die Sachlage hat sich geändert«, sagte Fischer. »Wir brauchen Sie hier nicht länger festzuhalten. Sie können gehen. Vielen Dank.«
    Ich stand auf und zog mein verräuchertes Jackett an. Ich hatte zwar nicht die geringste Ahnung, was los war, aber ich wollte schleunigst weg, bevor die beiden es sich wieder anders überlegten. Schöngeist begleitete mich zum Ausgang.
    »Hören Sie, wir wissen bereits seit gestern Abend, dass Sie unschuldig sind«, sagte er. »Die Ermittlungen und die Obduktion haben ergeben, dass Sie mit der Tat nichts zu tun haben. Die Blutgruppe des gefundenen Spermas entspricht nicht Ihrer. Und Ihre Fingerabdrücke wurden auch nicht entdeckt. Aber sie verheimlichen etwas. Deshalb haben wir Sie dabehalten. Wir wollten Sie weichkochen, damit Sie auspacken. Uns können Sie nichts vormachen. Wir haben dafür einen Riecher. Beruflich bedingt. Sie wissen etwas über diese Frau, wollen es aber aus irgendeinem Grund nicht sagen. So läuft das nicht. Wir verstehen da keinen Spaß. Wir sind Profis. Schließlich geht es hier um Mord.«
    »Tut mir leid, aber ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte ich.
    »Kann sein, dass wir Sie noch einmal herbitten müssen«, sagte er, wobei er sich mit einem Streichholz die Nagelhaut zurückschob. »Dann werden wir Sie aber in die Mangel nehmen, das verspreche ich Ihnen. Das nächste

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