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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wohl ’n Rad ab«, sagte sie, das Kinn auf die Hand gestützt. Reiches Ausdrucksrepertoire.
    Es war später Nachmittag, und die Straßen nach Tsujidô waren leer. Sie holte stapelweise Kassetten aus ihrer Tasche. Von Bob Marleys Exodus bis Styx’ Mister Roboto dudelte eine bunte Mischung Popmusik aus den Autoboxen. Kraut und Rüben. Genauso wie die Landschaft draußen, die auf beiden Seiten vorbeirauschte. Yuki sagte kaum ein Wort und hörte gemütlich zurückgelehnt Musik. Sie nahm meine Sonnenbrille von der Ablage und probierte sie auf. Irgendwann steckte sie sich eine Virginia Slim an. Ich schwieg ebenfalls und konzentrierte mich aufs Autofahren. Den Blick auf die Straße fixiert, war ich mit Schalten beschäftigt und achtete auf die Verkehrsschilder.
    Manchmal war ich richtig neidisch auf Yuki. Darauf, dass sie erst dreizehn war. In ihren Augen wirkt alles noch neu und frisch. Die Musik, die Landschaft, die Menschen. Sicher ganz anders, als ich die Dinge wahrnehme. Sicher, ich war auch einmal in ihrem Alter, aber damals war die Welt noch nicht so kompliziert. Leistungen wurden belohnt, auf Worte war Verlass, und Schönheit galt als etwas Bleibendes. Trotzdem war ich kein besonders glücklicher Junge. Ich liebte die Einsamkeit, weil ich dann an mich glauben konnte, aber es war mir selten vergönnt, allein zu sein. Ich war eingezwängt in die beiden Gefüge von Familie und Schule. Es war ein rebellisches Alter, ich war aufgewühlt. In ein Mädchen verknallt, aber es lief natürlich schief. Weil ich damals noch gar nicht wusste, was Verliebtsein bedeutet. Und so konnte ich ihr gegenüber auch nicht ausdrücken, was ich empfand. Ich war ein linkischer, introvertierter Junge. Ich wollte gegen die Wertvorstellungen meiner Lehrer und Eltern protestieren, fand aber die richtigen Worte nicht. Ich vermasselte immer alles. Ich war das genaue Gegenteil von Gotanda, dem alles phantastisch gelang.
    Dennoch war ich in der Lage, das Neue und Frische an den Dingen zu sehen. Es war toll – Gerüche waren unverwechselbar, Tränen wirklich heiß, Mädchen traumhaft schön, und Rock ’n Roll blieb Rock ’n Roll bis in alle Ewigkeit. Die Dunkelheit in den Kinos versprach zärtliche Intimität, und die Sommernächte waren unendlich tief und traurig. Diese Zeit des Aufruhrs verbrachte ich mit Filmen, Musik und Büchern. Ich lernte die Songtexte von Sam Cook und Ricky Nelson auswendig, schuf mir meine eigene Welt. Das war mein dreizehntes Lebensjahr. Ich saß neben Gotanda in der gleichen Arbeitsgruppe. Unter schmachtenden Mädchenblicken zündete er anmutig mit einem Streichholz den Bunsenbrenner an. Puff!
    Wie konnte er da neidisch auf mich sein?
    Unbegreiflich.
    »He«, sagte ich zu Yuki. »Erzählst du mir jetzt etwas über den Mann im Schafsfell? Wo bist du ihm begegnet? Und wieso weißt du, dass ich ihn auch getroffen habe?«
    Sie schaute zu mir herüber, legte die Sonnenbrille auf die Ablage zurück und zuckte leicht die Schultern. »Könntest du mir bitte zuerst eine Frage beantworten?«
    »Meinetwegen«, erwiderte ich.
    Yuki summte erst mal den Weltschmerzsong von Phil Collins mit. Düster und melancholisch wie Katerstimmung am Morgen. Dann griff sie erneut nach der Sonnenbrille und spielte an den Bügeln herum. »Erinnerst du dich noch daran, was du damals in Hokkaido zu mir gesagt hast? Dass ich das hübscheste Mädchen sei, mit dem du je verabredet warst?«
    »Stimmt, das habe ich gesagt.«
    »Hast du das ernst gemeint? Oder wolltest du mir nur schmeicheln, um mich bei Laune zu halten? Sag mir bitte die Wahrheit.«
    »Ehrlich, ich habe das so gemeint.«
    »Mit wie viel Frauen bist du bisher ausgegangen?«
    »Das lässt sich unmöglich nachzählen.«
    »Mit zweihundert?«
    »Ach was«, sagte ich lachend. »So wahnsinnig reißen sich die Frauen nun auch nicht um mich. Ich bin zwar nicht gerade unsympathisch, aber doch sehr beschränkt. Eher schmalspurig. Ich würde sagen, mit fünfzehn, maximal.«
    »Nur?«
    »Ein miserables Dasein«, sagte ich. »Dunkel, feucht, eng.«
    »Beschränkt«, sagte Yuki.
    Ich nickte.
    Darüber musste sie erst mal nachdenken, schien es aber nicht so recht zu begreifen. Auch nicht schlimm. Sie war eben noch zu jung.
    »Fünfzehn?«, vergewisserte sie sich.
    »So in etwa«, sagte ich. Ich ließ mein bescheidenes Leben von vierunddreißig Jahren noch einmal Revue passieren. »Im Höchstfall zwanzig.«
    »Zwanzig?« Sie klang enttäuscht. »Aber von all denen findest du mich am schönsten,

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