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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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du?«
    »Ja, wenn ich etwas möchte, wenn ich eine Verbindung aufnehmen will, dann sorgt er dafür, dass sie zustande kommt.«
    »Kapier ich nicht.«
    Ich ließ ebenfalls eine Hand voll Sand durch die Finger rieseln.
    »Ich verstehe es selbst noch nicht so ganz. Aber so hat es mir der Schafsmann erklärt.«
    »Gab es den schon immer?«
    Ich nickte. »Ja, schon in meiner Kindheit. Ich habe die ganze Zeit gespürt, dass es da etwas gibt. Aber ich wusste bis vor kurzem nicht, dass es die Gestalt eines Schafsmanns hat. Er hat immer mehr Form angenommen. Ebenso die Welt, in der er lebt. Mit den Jahren, in denen ich älter geworden bin. Wieso, weiß ich auch nicht. Vielleicht brauchte ich ihn. Wenn man älter wird, geht alles Mögliche verloren, und deshalb war es notwendig. Eine notwendige Hilfe, um weiterzuleben. Aber ganz sicher bin ich mir da auch nicht. Vielleicht hat es noch einen anderen Grund. Ich grüble ständig darüber nach, werde aber nicht schlau daraus. Idiotisch.«
    »Hast du jemals mit jemand anderem darüber gesprochen?«
    »Um Himmels willen, das würde mir doch sowieso keiner glauben. Wer würde das schon verstehen? Außerdem kann ich es auch gar nicht richtig erklären. Du bist die Erste, der ich das erzähle. Mit dir rede ich gern darüber.«
    »Ich habe auch noch nie mit jemandem so darüber gesprochen. Es war immer mein Geheimnis. Papa und Mama wissen zwar in etwa Bescheid, aber wir haben nie ausführlich darüber geredet. Seit ich klein war, hatte ich immer das Gefühl, ich sollte besser meinen Mund halten. Instinktiv.«
    »Gut, dass wir darüber gesprochen haben.«
    »Willkommen im Geisterclub«, sagte Yuki und ließ den Sand durch die Finger rieseln.
    Während wir zum Auto zurückgingen, erzählte Yuki von der Schule. Was für ein schrecklicher Ort das doch sei.
    »Seit den letzten Sommerferien gehe ich nicht mehr hin«, sage sie. »Das Lernen ist nicht das Schlimme, sondern der Ort. Ich halte es nicht aus. Sobald ich dort bin, wird mir speiübel. Ich habe jeden Tag gekotzt. Und dafür haben sie mich noch mehr fertig gemacht. Alle haben sich gegen mich verschworen. Sogar die Lehrer.«
    »Ein so hübsches Mädchen wie dich hätte ich nicht gehänselt, wenn ich dein Mitschüler gewesen wäre.«
    Yuki schaute aufs Meer. »Aber könnte es nicht auch sein, dass man gehänselt wird, weil man hübsch ist? Außerdem bin ich das Kind berühmter Eltern. Entweder wird man hofiert oder gehänselt. Auf mich trifft das Letzte zu. Ich komme mit niemandem aus. Ich stehe immer unter Spannung und muss permanent auf der Hut sein, damit ich mich auch verschließe. Das wissen aber die anderen nicht. Deshalb zittere ich auch andauernd und sehe aus wie eine schnatternde Wildente. Sie ziehen mich damit auf, echt gemein. Du kannst dir nicht vorstellen, wie gemein sie sind. Es ist schrecklich beschämend. Man hält es nicht für möglich, wie niederträchtig sie sein können. Zum Beispiel …«
    »Schon gut«, sagte ich und nahm ihre Hand. »Vergiss diesen Mist. Zwing dich nicht, in die Schule zu gehen. Wenn dir nicht danach ist, dann bleibst du eben fern. Die Schule kann wirklich die Hölle sein. Ich kenne das. Du hast immer irgendwelche Idioten mit doofen Fressen und saublöde Pauker, die sich was einbilden. Mindestens achtzig Prozent von denen sind Trottel oder Sadisten oder sogar beides. Sie haben Dauerstress, und den lassen sie dann auf fiese Weise an den Schülern aus. Und all diese lächerlichen, kleinkarierten Vorschriften! Ein Korinthenkackersystem, das jegliche Individualität zunichte macht. Aber die Dumpfbacken, die kein Fünkchen Phantasie besitzen, kriegen dann die guten Noten. Das war früher schon so. Daran hat sich nichts geändert. Und daran wird sich auch nichts ändern.«
    »Ist das wirklich deine Meinung?«
    »Klar. Ich könnte stundenlange Hasstiraden über diesen Schwachsinn halten.«
    »Aber für mich besteht noch Schulpflicht.«
    »Darüber sollen sich andere Leute den Kopf zerbrechen, nicht du. Du bist nicht verpflichtet, dich irgendwo fertig machen zu lassen. Du hast das Recht, dich dagegen aufzulehnen. Du darfst ganz laut brüllen: Mit mir nicht!«
    »Aber wie soll es weitergehen? Wird es nicht immer wieder das Gleiche sein?«
    »Mit dreizehn habe ich das auch gedacht«, erwiderte ich. »Ob das jetzt immer so weitergeht. Aber so laufen die Dinge nicht, irgendetwas wird geschehen. Und wenn nicht, kannst du immer noch darüber nachdenken. Werde noch ein bisschen älter, und dann wirst du dich

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