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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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zusieht«, sagte ich. »Die Mutter hat nur ihre Arbeit im Kopf und reist in der Weltgeschichte herum. Sie hat überhaupt nicht die Zeit, sich um das Kind zu kümmern. Manchmal scheint sie sogar zu vergessen, dass sie überhaupt eines hat. Lässt ihre Tochter ohne Geld im Hotelzimmer in Hokkaido zurück, und das fällt ihr dann erst drei Tage später ein. Drei Tage! Und nachdem ich sie nach Tokyo zurückgebracht hatte, schloss Yuki sich tagelang im Apartment ein, ohne irgendwo hinzugehen. Ihr ganzes Dasein besteht aus Rockmusik und Junkfood, soweit ich weiß. Sie geht nicht zur Schule. Sie hat keine Freunde. Das ist doch kein ordentliches Leben. Eigentlich sollten mich fremde Familienverhältnisse ja nichts angehen, und ich schwatze Ihnen hier die Ohren voll. Aber ich denke, Sie überspannen den Bogen. Vielleicht sind meine Ansichten ja zu realistisch, zu normal und kleinbürgerlich.«
    »Nein, nein, Sie haben zu hundert Prozent Recht«, erwiderte Makimura und nickte bedächtig. »Es stimmt alles, was Sie sagen. Eigentlich zu zweihundert Prozent. Darüber wollte ich mit Ihnen reden. Deshalb habe ich sie hergebeten.«
    Mich überkam eine dunkle Ahnung. Die Pferde sind tot, und die Indianer haben aufgehört zu trommeln. Es war zu still. Ich kratzte mich mit dem kleinen Finger an der Schläfe.
    »Ich habe mir überlegt, ob Sie sich nicht um Yuki kümmern könnten«, begann er vorsichtig. »Ich meine nicht im formalen Sinne, nur ab und zu mal nach ihr sehen. Zwei, drei Stunden täglich. Dann könnten Sie mit ihr reden und etwas Ordentliches mit ihr essen. Das wäre schon genug. Ich würde Sie natürlich dafür bezahlen. Sie könnten das gewissermaßen als einen Hauslehrerjob betrachten, nur dass Sie eben nicht unterrichten. Ich weiß zwar nicht, was Sie im Moment verdienen, aber ich garantiere Ihnen ein angemessenes Gehalt. Über die restliche Zeit können Sie dann frei verfügen. Meine einzige Bitte ist, dass Sie täglich ein paar Stunden mit Yuki verbringen. Das ist doch kein schlechtes Geschäft, oder? Ich habe schon mit ihrer Mutter darüber gesprochen. Sie ist gerade beruflich auf Hawaii. Ich habe ihr die Situation erklärt, und sie hält es ebenfalls für eine gute Idee. Auch sie macht sich ernsthaft Gedanken um Yuki, auch wenn es nicht so aussieht. Die Menschen sind nun einmal verschieden. Sie ist ein bisschen exaltiert. Hochgradig talentiert, aber manchmal eben nicht mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen. Bei ihr ist gewissermaßen eine Sicherung durchgebrannt. Sie vergisst alles um sich herum und ist, was praktische Dinge anbelangt, völlig unfähig. Sie hat sogar Schwierigkeiten beim Subtrahieren.«
    »Ich bin mir da nicht so sicher«, sagte ich mit einem kraftlosen Lächeln. »Was Yuki braucht, ist meines Erachtens vor allem elterliche Liebe und Fürsorge. Das Vertrauen darauf, dass sie von jemandem bedingungslos geliebt wird. Wie sollte ich ihr das bieten? Diese Verantwortung müssen Sie als ihre Eltern schon selbst übernehmen. Das sollten Sie und Ihre Frau sich ernsthaft vor Augen führen. Zweitens braucht sie unbedingt gleichaltrige Freunde. Andere Mädchen, die ihr sympathisch sind und mit denen sie über alles reden kann. Allein dadurch würde sie sich schon wohler fühlen. Ich bin ein Mann und noch dazu viel älter als sie. Was wissen Sie und Ihre Frau denn von mir? Ein dreizehnjähriges Mädchen ist in einem gewissen Sinne schon erwachsen. Yuki ist hübsch und psychisch labil. Wollen Sie dieses Kind tatsächlich einem mehr oder weniger Unbekannten anvertrauen? Sie kennen mich doch kaum. Ich bin gerade eben wegen eines Mordfalls von der Polizei festgehalten worden. Wenn ich nun der Täter wäre, was dann?«
    »Sind Sie denn der Mörder?«
    »Natürlich nicht«, seufzte ich. Nach der Tochter stellte mir nun auch noch der Vater diese Frage. »Natürlich bringe ich niemanden um.«
    »Na also. Dann kann ich Ihnen doch trauen, oder? Wenn Sie sagen, Sie haben niemanden getötet, dann wird es wohl stimmen.«
    »Aber wieso vertrauen Sie mir so blindlings?«
    »Sie sind kein Typ, der jemanden umbringen könnte. Und auch kein Kinderschänder. Das sieht man doch«, sagte er. »Außerdem vertraue ich Yukis Instinkt. Dieses Kind hatte schon von klein auf eine stark ausgeprägte Intuition. Das geht bei ihr über das normale Maß hinaus. Manchmal ist es richtig unheimlich. Sie ist so etwas wie ein Medium. Es gibt Momente, wo sie etwas zu sehen glaubt, was ich nicht erkennen kann. Verstehen Sie, was ich damit

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