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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sehr einfach.«
    »Hm«, machte er und schwieg dann einige Sekunden. »Haben Sie sich die Formulierung ausgedacht, Schneeschaufeln?«
    »Ja, ich glaube schon«, erwiderte ich.
    »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich das Wort irgendwann benutze? Interessanter Ausdruck, wirklich. Kulturelles Schneeschaufeln.«
    »Bitte, nur zu. Ich habe kein Copyright darauf.«
    »Sie sprechen mir aus der Seele«, sagte Makimura und rieb sich das Ohrläppchen. »Ich habe nämlich manchmal auch dieses Gefühl. Ob es überhaupt Sinn hat, diesen oder jenen Text zu schreiben. Hin und wieder kommt das vor. Früher hatte ich das nie, die Welt war noch überschaubarer, und es gab so etwas wie Genugtuung. Ich wusste immer genau, was ich tat. Und was man von mir erwartete. Auch die Medienpräsenz war längst nicht so umfassend. Die Welt war praktisch ein Dorf, jeder kannte jeden.«
    Er leerte sein Glas und schenkte uns beiden nach. Meinen Einwand, ich müsse noch Auto fahren, ignorierte er einfach.
    »Aber heutzutage ist das anders. Die Leute wissen nicht mehr, was Fairness ist. Niemand. Jeder macht seinen eigenen Kram, kehrt vor seiner Hütte. Schneeschaufeln. Sie sagen es.«
    Er schaute zu dem aufgespannten grünen Netz hinüber. Auf dem Rasen verstreut lagen mindestens dreißig weiße Golfbälle.
    Ich nahm einen Schluck Bier.
    Makimura schien darüber nachzusinnen, was er als Nächstes sagen würde. Das brauchte Zeit. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte, er war es gewohnt, andere auf die Folter zu spannen. Ich wartete also geduldig darauf, dass er weiterreden würde. Er rieb sich die ganze Zeit das Ohrläppchen. Er sah aus, als würde er ein Bündel nagelneuer Geldscheine zählen.
    »Meine Tochter ist Ihnen sehr zugetan«, fuhr Makimura endlich fort. »Das ist sonst nicht ihre Art, müssen Sie wissen. Oder sagen wir, es gibt kaum jemanden, an dem sie hängt. Bei mir kriegt sie kaum den Mund auf. Auch bei ihrer Mutter nicht, aber Yuki respektiert sie wenigstens. Vor mir hat sie keine Achtung. Null. Sie hält mich für einen Trottel. Freunde scheint sie auch keine zu haben, und seit einigen Monaten schwänzt sie sogar die Schule. Sie zieht sich in ihr Schneckenhaus zurück und hört immer nur diese Klamaukmusik. Man könnte sie als Problemkind bezeichnen, was ihre Lehrer übrigens tatsächlich tun. Mit anderen Menschen kommt sie einfach nicht klar. Aber zu Ihnen hat sie merkwürdigerweise Vertrauen. Wie kommt das?«
    »Tja, wenn ich das wüsste«, erwiderte ich.
    »Sie und Yuki verstehen einander?«
    »Könnte sein.«
    »Was halten Sie von meiner Tochter?«
    Ich zögerte mit der Antwort, denn ich hatte das Gefühl, in einer mündlichen Prüfung zu sein. Dann gab ich mir einen Ruck und sagte ehrlich meine Meinung: »Sie ist in einem schwierigen Alter. Und ihre familiären Umstände sind derart katastrophal, dass sie keine Geborgenheit findet. Niemand kümmert sich um sie. Niemand trägt die Verantwortung für sie. Sie hat niemanden zum Reden. Sie ist seelisch zutiefst verwundet, und es gibt niemanden, der diese Verletzung heilen kann. Ihre Eltern sind zu prominent. Ihr Gesicht ist zu hübsch. Das ist eine schwere Bürde für eine Dreizehnjährige. Ihr fehlt die Normalität. Sie ist hypersensibel und hat schon ihre Eigenarten, aber eigentlich ist sie ein recht unkompliziertes Kind. Es müsste sich nur jemand richtig um sie kümmern, dann würde sie sich ganz prima entwickeln.«
    »Aber das tut niemand.«
    »Den Eindruck habe ich.«
    Makimura stieß einen tiefen Seufzer aus. Er ließ von seinem Ohr ab und starrte auf seine Finger. »Ich glaube, Sie haben Recht. Absolut Recht. Aber ich kann da nichts ausrichten. Bei der Scheidung wurde mir das Sorgerecht für Yuki entzogen. Damals habe ich mich mit anderen Frauen herumgetrieben, sodass ich in einer schlechten Position war. Um genau zu sein, ich brauche auch heute noch Ames Erlaubnis, um Yuki sehen zu können. Ame und Yuki, Regen und Schnee – was für blödsinnige Namen. Na ja, so ist das nun mal. Und der zweite Punkt ist, dass Yuki nicht einen Funken Vertrauen zu mir hat. Sie lässt sich nichts sagen. Ich stehe da wirklich auf verlorenem Posten. Ich liebe meine Tochter über alles, sie ist mein einziges Kind. Aber mir sind eben die Hände gebunden.«
    Er schaute erneut zu dem grünen Netz. Es wurde zunehmend dunkler. Die verstreuten Golfbälle auf dem Rasen wirkten in der Dämmerung wie aus einem Korb geworfene Gelenkknochen.
    »Aber es kann so nicht weitergehen, dass man nur untätig

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