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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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date, mein Lieber. Sie hatten vielleicht einmal ihren Wert, aber die Zeiten sind vorbei. Was heute zählt, ist Geld. Damit lässt sich alles kaufen, sogar eine persönliche Einstellung. Man muss sich nur die passenden Teile anschaffen und sie dann zusammenbauen. Ganz einfach. Und sofort benutzbar. Man braucht nur A und B zusammenzustecken. Das klappt im Handumdrehen. Verbrauchtes wird ausgewechselt. Eine sehr bequeme Art. Sie hinken doch der Zeit völlig hinterher, wenn Sie heute noch Systemen anhängen. So was nennt man unflexibel. Sand im Getriebe.«
    »Die hochkapitalistische Gesellschaft«, fasste ich zusammen.
    »Genau«, sagte Makimura. Dann schwieg er.
    Inzwischen war es dunkel geworden. In der Nähe kläffte neurotisch ein Hund. Jemand klimperte eine Mozart-Sonate. Makimura saß im Schneidersitz auf der Veranda und trank nachdenklich sein Bier. Seit ich wieder in Tokyo war, hatte ich nur sonderbare Begegnungen: Gotanda, die beiden Edelnutten, von denen eine bereits tot war, das hartnäckige Polizistenduo, Makimura und sein Assistent. Als ich verträumt in den finsteren Garten starrte und die Melange aus Mozart und Hundegebell vernahm, schien die Wirklichkeit sich aufzulösen und von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Sämtliche Einzelheiten verloren ihre ursprüngliche Gestalt und verschmolzen miteinander, versanken in einem Chaos, in dem nichts mehr Bedeutung besaß. Gotandas anmutige Hände, die Kikis Rücken streicheln; die verschneiten Straßen in Sapporo; der »Kuckuck«-Ruf von May, dem Zicklein; der Inspektor, der sich mit dem Plastiklineal auf die Handfläche klatscht; der hinten in einem dunklen Flur auf mich wartende Schafsmann … alles verschmolz zu einem chaotischen Strudel. War ich einfach nur müde? Nein, das war ich nicht. Die Wirklichkeit löste sich auf, sonst nichts. Sie löste sich auf und verwandelte sich in geballtes Chaos, kugelförmig wie ein Himmelskörper. Begleitet von Klaviergeklimper und Hundegekläff. Jemand sagte etwas. Sagte etwas zu mir.
    »Sagen Sie mal …« Es war Makimura.
    Ich hob den Kopf.
    »Sie wissen doch etwas über die Frau, oder? Ich meine über die Ermordete. In der Zeitung stand, sie sei in einem Hotel umgebracht worden. Über ihre Person sei nichts bekannt, man habe lediglich eine Visitenkarte in ihrem Portemonnaie gefunden. Es hieß, die betreffende Person werde vernommen, aber Ihr Name wurde nicht genannt. Laut meinem Rechtsanwalt haben Sie erklärt, Sie würden die Frau nicht kennen, aber das stimmt doch nicht, oder?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Ach, nur so«, sagte er, hob seinen Golfschläger auf und hielt ihn wie ein Schwert von sich gestreckt. »Ich habe das Gefühl, Sie decken jemanden. Im Laufe unseres Gesprächs bekam ich mehr und mehr diesen Verdacht. Bei Kleinigkeiten sind Sie so pingelig und in großen Dingen sehr generös. Dieses Muster hat sich für mich herauskristallisiert. Interessanter Charakter. In dieser Hinsicht gleichen Sie Yuki. Sie haben Mühe zu überleben, werden von anderen nur schwer verstanden. Wenn Sie ins Straucheln geraten und fallen, geht es Ihnen an den Kragen. Ihr seid aus dem gleichen Holz geschnitzt. Diesmal sind Sie noch heil davongekommen, aber beim nächsten Mal kann es schlecht für Sie ausgehen. Die Polizei kennt keinen Spaß. System hin und her, wenn Sie sich quer stellen, kann das ins Auge gehen. Die Zeiten haben sich geändert, mein Lieber.«
    »Ich stelle mich doch gar nicht quer«, erwiderte ich. »Es sind eher Tanzschritte. Eine Gewohnheit. Etwas, das sich dem Körper eingeprägt hat. Sobald Musik erklingt, bewegt er sich von selbst, und was um einen herum geschieht, ist fast egal. Die Schritte sind so kompliziert, dass ich mir über etwas anderes gar keine Gedanken machen kann. Wenn mir zu viel im Kopf herumschwirrt, könnte ich straucheln. Ich bin nicht trendy, eher tolpatschig.«
    Hiraku Makimura stierte auf seinen Golfschläger.
    »Sie sind ein komischer Vogel«, sagte er. »Sie erinnern mich an etwas. Aber woran?«
    »Tja, woran wohl?«, sagte ich. Vielleicht an Picassos Holländische Vase und drei bärtige Ritter?
    »Aber Sie gefallen mir. Ich vertraue Ihnen. Kümmern Sie sich um Yuki. Irgendwann werde ich mich erkenntlich zeigen. Wie gesagt, ich bin ein Mensch, der seine Schulden stets zurückzahlt.«
    »Ich habe es gehört.«
    »Nun, das wär’s dann wohl«, sagte er und legte den Golfschläger auf die Veranda. »Schön, schön.«
    »Was stand denn noch darüber in der Zeitung«, erkundigte ich

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