Tanz mit dem Schafsmann
weißen Schultertasche, die gleichmäßig wie ein Pendel an ihrer Hüfte hin und her schwang, noch gut erkennen.
»Kiki!«, rief ich laut.
Sie schien mich gehört zu haben, denn sie drehte sich flüchtig nach mir um. Es war Kiki. Natürlich bestand eine gewisse Distanz zwischen uns, es war schummrig und die Straßenbeleuchtungen waren noch nicht eingeschaltet. Trotzdem war ich mir todsicher. Kein Irrtum . Sie musste mich erkannt haben, denn sie hatte gelächelt, als sie mich sah.
Aber Kiki blieb nicht stehen. Sie hatte nur einen kurzen Blick zurückgeworfen. Auch ihr Tempo verlangsamte sich nicht. Sie ging stur weiter, bis sie in einem der Bürogebäude verschwand. Etwa zwanzig Sekunden später folgte ich ihr ins Haus. Zu spät! Die Fahrstuhltür am Ende des Korridors hatte sich bereits geschlossen. Während ich verschnaufte, behielt ich die altmodische Stockwerkuhr im Auge, deren Zeiger sich im Schneckentempo drehte. Der Anblick war nervenaufreibend. Schließlich kam er nach einem kurzen Zittern bei 8 zum Stehen. Ich drückte auf den Fahrstuhlknopf, besann mich dann aber und raste die Treppe hinauf. Unterwegs kam mir ein weißhaariger Samoaner – vermutlich der Hausmeister – mit einem Eimer in der Hand entgegen. Fast hätte ich ihn umgerannt.
»He, wo wollen Sie denn hin?«, rief er mir nach. »Später«, rief ich zurück und flog die Treppen hinauf. Ein muffiges, unbehagliches Gebäude. Keine Menschenseele in Sicht, es war totenstill. Das Quietschen meiner Schuhsohlen hallte unheimlich laut durch das endlose Treppenhaus. Als ich endlich in der achten Etage angelangt war, schaute ich zuerst nach rechts und links. Nichts. Kein Lebenszeichen. Nur eine Flucht gewöhnlicher Bürotüren. An jeder Tür befand sich eine Nummer und ein Firmenschild.
Ich lief daran vorbei und las die Namen, aber sie sagten mir nichts. Eine Handelsfirma, eine Anwaltskanzlei, eine Zahnarztpraxis – sämtliche Schilder waren verblichen und dreckig. Sogar die Namen wirkten alt und schmuddelig. Man konnte sich kaum vorstellen, dass diese Büros Geschäfte machten. Verkommene Büros auf einer verkommenen Etage in einem verkommenen Gebäude, das in einer verkommenen Seitenstraße lag. Ich las nochmals aufmerksam die Namen durch, aber keiner ließ sich mit Kiki in Verbindung bringen. Ich blieb stehen und lauschte angestrengt, aber nichts war zu hören. Das Gebäude war still wie eine Ruine.
Plötzlich vernahm ich ein Geräusch. Es hörte sich an wie das Klackern hochhackiger Schuhe und hallte ungemein laut in dem hohen, gespenstisch leeren Korridor. Ein schweres, dürres Echo uralter Erinnerungen, das meine momentane Existenz erschütterte. Mir war, als würde ich mit einem Mal durch das labyrinthische Körperinnere eines längst ausgestorbenen, verwitterten und verdorrten, urzeitlichen Riesenorganismus wandern. Durch irgendwelche Umstände war ich durch einen Zeitspalt geschlüpft und in diese Höhle geraten. Die Absätze knallten derart laut, dass ich zunächst gar nicht ausmachen konnte, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Doch dann vernahm ich es deutlich am Ende des rechten Korridors. Ich huschte auf leisen Sohlen dorthin. Die Schritte kamen aus dem hintersten Zimmer. Sie klangen zwar unglaublich fern, aber sie waren ganz sicher da, hinter dieser Tür. Sie war nicht beschildert. Merkwürdig! Ich hatte doch gerade alle Türen inspiziert und auch an dieser einen Namen gelesen. Leider konnte ich mich nicht darauf besinnen, was für ein Büro das gewesen war. Aber eindeutig hatte ein Schild hier gehangen. Ich hätte es mir ganz bestimmt gemerkt, wenn es eine unbeschilderte Tür gegeben hätte.
War das ein Traum? Nein, für einen Traum verlief alles zu kontinuierlich, in einer logischen Abfolge. Ich war in Honolulu Downtown und verfolgte Kiki. Das war kein Traum, sondern Wirklichkeit. Zwar etwas verschroben, aber durchaus real.
Ich klopfte.
Die Schritte hielten inne. Als der letze Hall verschluckt war, herrschte wieder Totenstille. Ich wartete dreißig Sekunden. Nichts geschah. Die Schritte hielten inne. Ich drehte vorsichtig den Knauf und stellte fest, dass die Tür nicht verschlossen war. Sie öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Drinnen war es dunkel, es roch leicht nach Bohnerwachs. Das Zimmer war völlig leer. Keine Möbel, keine Beleuchtung. Nur das schummrige Blau des letzten Dämmerlichts flutete herein. Auf dem Boden lagen ein paar vergilbte Zeitungen. In dem Raum befand sich keine Menschenseele.
Dann hörte
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