Tanz mit dem Schafsmann
zurück«, wenn ich sah, wie es Yuki ging. Eine bequeme Ausrede.
Zwei Wochen vergingen.
Yuki und ich waren unterwegs in Richtung Downtown. Es dämmerte bereits. Die Straßen waren verstopft, aber wir hatten es nicht besonders eilig. Gemütlich zuckelten wir dahin und betrachteten die Attraktionen auf beiden Seiten der Straße: Pornokinos, Secondhand-Shops, vietnamesische Stoffhändler, chinesische Lebensmittelgeschäfte, Antiquariate und Läden für gebrauchte Schallplatten. Vor einem Laden saßen zwei alte Männer an einem Tisch und spielten Go. An den Straßenecken lungerten Typen mit verhangenem Blick herum. Alltag in Honolulu Downtown. Und eine Menge billiger, guter Lokale zum Essen. Allerdings kein Ort, an dem ein Mädchen sich allein aufhalten sollte.
Außerhalb dieses Viertels in Richtung Hafen wurden die Häuserblocks spärlicher und schäbiger. Stattdessen sah man Lagerhäuser von Firmen, Bürohäuser und Coffeeshops mit kaputten Leuchtreklamen. Trauben von Menschen, die von der Arbeit nach Hause fuhren, warteten an Bushaltestellen.
Yuki wollte noch einmal E. T. sehen.
Okay, nach dem Abendessen, versprach ich ihr.
Dann fing sie an, über E. T. zu sprechen. Dass sie sich wünsche, ich sei so wie er. Daraufhin berührte sie meine Stirn mit dem Zeigefinger.
»Lass das gefälligst. Das heilt nie wieder«, sagte ich.
Yuki kicherte.
Und dann passierte es. In diesem Augenblick.
Ich fühlte einen Schlag. Eine Verbindung, die mit einem lauten klong in meinem Kopf zustande kam. Etwas war geschehen, aber ich wusste noch nicht, was. Automatisch trat ich auf die Bremse. Der Fahrer in dem Camaro hinter uns hupte wild und beschimpfte mich durchs Fenster, als er an uns vorbeifuhr. Ich hatte etwas bemerkt. Hier und jetzt. Etwas sehr Bedeutsames.
»Was soll denn das, so plötzlich? Das ist gefährlich«, sagte Yuki. Oder ich glaubte, ich hätte so etwas gehört.
Ich bekam nichts mehr mit. Kiki . Ich hatte soeben Kiki gesehen. Ganz sicher. Hier in Honolulu Downtown. Keine Ahnung, was sie hier zu suchen hatte. Aber es war Kiki. Ich war an ihr vorbeigefahren. Ganz dicht, zum Greifen nah. Sie war in die entgegengesetzte Richtung gegangen.
»Hör mal, schließ alle Fenster und Türen und steig auf keinen Fall aus. Und mach nicht auf, falls dich jemand anspricht. Ich komme sofort wieder«, sagte ich und sprang aus dem Auto.
»He, warte mal. Ich will hier nicht allein bleiben«, rief Yuki empört. Aber ich rannte schon wie ein Besessener die Straße zurück, rempelte Leute an, ohne mich nach ihnen umzusehen. Keine Zeit für höfliche Entschuldigungen. Ich mußte um jeden Preis Kiki zu fassen bekommen. Sie einholen und mit ihr reden. Wozu, wusste ich selbst nicht. Ich rannte durch den Strom der Menschen zwei, drei Querstraßen weiter und hielt dabei nach ihrer Kleidung Ausschau. Und dann entdeckte ich ihre Gestalt in der Abenddämmerung: blaues Kleid und weiße Schultertasche, die im Rhythmus ihrer Schritte mitschwang. Sie steuerte auf die belebte Gegend zu. Als ich den Boulevard erreichte, wurde der Passantenstrom schlagartig dichter, sodass ich nur schlecht vorankam. Eine fette Matrone, in die Yuki drei Mal hineingepasst hätte, versperrte mir den Weg. Trotzdem versuchte ich, den Abstand zu Kiki Schritt für Schritt aufzuholen. Sie setzte ihren Weg unbeirrt fort. Weder schnell noch langsam, in ganz normalem Tempo. Schaute weder zurück noch zur Seite und machte auch keine Anstalten, in einen Bus zu steigen, sondern ging einfach geradeaus weiter. Eigentlich hätte ich ihr immer näherkommen müssen, aber seltsamerweise blieb der Abstand zwischen uns unverändert. Sie musste an keiner einzigen Ampel stehen bleiben. Als hätte sie ihr Tempo genau darauf eingestellt, passte sie jedes Mal die grüne Phase ab. Um sie nicht aus den Augen zu verlieren, musste ich einmal eine Lücke im Autostrom abwarten und bei Rot über die Straße rennen. Ich war noch etwa zwanzig Meter von ihr entfernt, als sie plötzlich nach links abbog. Ich folgte ihr. Es war eine unbelebte Seitengasse, von heruntergekommenen Bürogebäuden gesäumt. Am Straßenrand parkten schmutzige Lieferwagen und Kombis. Aber von Kiki keine Spur. Keuchend blieb ich einen Moment stehen und blickte mich um. Was denn, bist du mir etwa schon wieder entwischt? Doch Kiki war nicht verschwunden. Sie war nur für einen Augenblick von einem großen Lieferwagen verdeckt gewesen. Da ging sie wieder im gleichen Tempo. Es wurde zunehmend dunkler, aber ich konnte sie an ihrer
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