Tanz mit dem Schafsmann
ganz subtiles Atmen, kaum wahrzunehmen. Für mich sah sie so aus, als könnten ihr aufgestützter Arm und ihr Kopf bei der geringsten Berührung abbrechen. Wie kann jemand nur derart zerbrechlich und wehrlos aussehen? Liegt es daran, dass ich erwachsen bin? Immerhin beherrschte ich bereits die Kunst, in der Welt zu bestehen, wenn auch nicht perfekt. Ein Kind wie Yuki hingegen war darauf noch nicht genügend konditioniert.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte ich.
»Nein, schon gut«, hauchte sie mit gesenktem Kopf und schluckte. Das Schlucken klang unnatürlich laut. »Bring mich irgendwohin, wo es ruhig ist und wo keine Leute sind, aber nicht weit weg.«
»Ans Meer?«
»Ist mir gleich. Aber fahr nicht so schnell. Sonst muss ich mich übergeben, wenn es zu sehr schaukelt.«
Behutsam nahm ich ihren Kopf, als hielte ich ein rohes Ei in den Händen, und lehnte ihn an die Nackenstütze, um das Fenster halb hochzukurbeln. Dann fuhr ich so langsam, wie es der Verkehr erlaubte, nach Kunifuzu ans Meer. Ich parkte, und als ich Yuki zum Strand führte, sagte sie, sie müsse sich gleich übergeben. Und dann erbrach sie sich im Sand. Sie hatte so gut wie nichts im Magen, sodass nicht viel herauskam. Ein wenig braune Flüssigkeit von der Schokolade, dann spuckte sie Magensaft und würgte schließlich nur noch. Das ist die schlimmste Tortur beim Erbrechen – der Körper verkrampft sich, und nichts kommt. Als müsste man seine Eingeweide hervorwürgen, bis der Magen sich faustgroß zusammenklumpt. Ich strich ihr sanft über den Rücken. Der feine Sprühregen hielt noch immer an, doch Yuki schien nichts davon mitzubekommen. Ich drückte mit dem Zeigefinger leicht auf ihren Rücken, in Magenhöhe. Die Muskulatur war hart wie Stein. Mit geschlossenen Augen kauerte Yuki in ihrem Sommerpulli, den verwaschenen Bluejeans und den roten Converse-Turnschuhen auf allen Vieren im Sand. Ich strich ihr die Haare zurück, damit sie nicht verklebten, und streichelte weiter ihren Rücken.
»Mir ist so übel«, stöhnte sie. Ihre Augen standen voller Tränen.
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich kenne das.«
»Spinner«, sagte sie und verzog das Gesicht.
»Ich habe so einen Brechanfall auch schon mal erlebt. Es war hart. Ich kenne das. Aber es hört gleich auf. Nur noch ein bisschen durchhalten.«
Sie nickte und fing wieder an zu würgen.
Nach etwa zehn Minuten ließ es nach. Sie wischte sich mit einem Taschentuch den Mund sauber und schob Sand auf das Erbrochene. Am Ellbogen führte ich sie zu einer Mole, wo wir uns setzen konnten.
Durchnässt saßen wir an den Steinwall gelehnt und schauten auf das verregnete Meer, hinter uns toste der Verkehr auf der West-Shonan-Küstenstraße. Es regnete jetzt stärker. Am Strand befanden sich nur noch ein paar Angler, doch sie nahmen keine Notiz von uns, drehten sich nicht einmal um. In grauen Regenhüten und wasserdichter Kleidung, den Blick stur aufs Meer gerichtet, standen sie mit ihren Ruten, so lang wie Fahnenstangen, am Ufer. Yuki legte den Kopf an meine Schulter. Wir saßen einfach nur da und schwiegen. Aus der Ferne betrachtet, wirkten wir wahrscheinlich wie ein harmonisches Liebespaar.
Yuki hielt die Augen geschlossen; sie atmete so leise, als schliefe sie. Der nasse Pony klebte ihr in einem Büschel auf der Stirn, und ihre Nasenflügel bebten leicht bei jedem Atemzug. Trotz des Anflugs von Ferienbräune wirkte ihr Teint unter dem grauen Himmel eher ungesund. Ich wischte ihr mit einem Taschentuch den Regen und die Tränen vom Gesicht. Der Regen fiel lautlos auf das ungeschützte Meer. Wie eine Libelle surrte ein U-Boot-Aufklärer der Selbstverteidigungsstreitkräfte mehrmals über unsere Köpfe hinweg.
Schließlich öffnete Yuki die Augen und sah mich, den Kopf immer noch an meiner Schulter, mit getrübtem Blick an. Sie holte sich eine Virginia Slim aus der Tasche, aber das erste Streichholz zündete nicht, es fehlte ihr offenbar an Kraft. Ich mischte mich diesmal nicht ein und verkniff mir auch die Bemerkung, zu rauchen würde ihr jetzt nicht gut tun. Dann hatte sie es doch geschafft und schnippte das Streichholz weg. Nach zwei Zügen zog sie ein angewidertes Gesicht und warf die Zigarette hinterher. Sie glimmte noch eine Weile auf dem Beton vor sich hin, bis der Regen sie auslöschte.
»Tut dir der Magen noch weh?«, fragte ich.
»Ein bisschen«, erwiderte sie.
»Dann bleiben wir einfach noch einen Moment sitzen. Ist dir kalt?«
»Nein, gar nicht. Der Regen tut gut.«
Die
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