Tanz mit dem Schafsmann
sich nicht mehr entziehen konnte. Ich stand in der Küche, brachte Wasser zum Kochen und brühte sorgfältig den frisch gemahlenen Kaffee auf. Dann goss ich mir eine Tasse ein und setzte mich damit aufs Bett. Als ich den Kaffee ausgetrunken hatte, war die Wahrscheinlichkeit bereits fast zu einer Gewissheit geworden. Vermutlich ist es so, dachte ich. Yuki hatte ein genaues Bild vor Augen gehabt: Gotanda hat Kiki ermordet, ihre Leiche weggebracht und vergraben.
Seltsam. Es gab überhaupt keine Beweise dafür. Nur die Vision eines hochsensiblen dreizehnjährigen Mädchens, das einen Film gesehen hatte. Und dennoch, merkwürdigerweise konnte ich an dem, was sie gesagt hatte, nicht zweifeln. Es schockierte mich, aber intuitiv akzeptierte ich Yukis Vision. Warum? Woher nahm ich die Gewissheit? Ich konnte es mir nicht erklären.
Trotzdem versuchte ich, der Sache auf den Grund zu kommen.
Wie sollte es weitergehen? Die nächste Frage lautete: Weshalb hat Gotanda Kiki umgebracht?
Keine Ahnung. Nächste Frage: Ist er dann auch derjenige, der May getötet hat?
Auch darauf wusste ich keine Antwort. Mir fiel kein einziger Grund ein, weshalb er Kiki oder gar beide Frauen ermordet haben sollte.
Es gab zu viele unbekannte Größen.
Ich musste also, wie ich Yuki gesagt hatte, Gotanda treffen und ihn direkt danach fragen. Aber wie sollte ich das Gespräch anfangen? Ich malte mir die Szene aus, wie ich ihn fragen würde: ›Hast du Kiki umgebracht?‹ Das kam mir völlig absurd und grotesk vor. Und auch schmutzig. Allein die Vorstellung, so etwas zu äußern, kam mir so schmutzig vor, dass einem übel werden konnte. Offensichtlich war da ein falsches Element im Spiel. Doch wenn ich es nicht tat, würde ich nicht weiterkommen. Ich sah sonst keine Möglichkeit, weiterzukommen. Jetzt war es zu spät, unbeteiligt daneben zu stehen, ohne die verschwommenen Tatsachen zu klären. Im Moment blieb mir keine andere Wahl. Ich musste da durch, trotz all meiner Bedenken. Das Unvermeidliche musste getan werden. Ich unternahm mehrere Anläufe, seine Nummer zu wählen. Aber ich brachte es nicht über mich. Auf dem Bett sitzend, das Telefon im Schoß, begann ich langsam die Wählscheibe zu drehen. Doch ich schaffte es nie bis zur letzten Ziffer. Schließlich gab ich auf, rollte mich aufs Bett und starrte an die Decke. Gotanda bedeutete mir mehr, als ich für möglich gehalten hätte. Ja, wir sind Freunde geworden. Angenommen, er hat Kiki tatsächlich umgebracht, dann bleibt er trotzdem mein Freund. Ich will ihn nicht verlieren. Ich habe bereits so vieles in meinem Leben verloren. Nein, ich kann ihn nicht anrufen.
Ich stellte den Anrufbeantworter ein und ging nicht ans Telefon, wenn es klingelte. Selbst wenn Gotanda anriefe, hätte ich im Moment nicht gewusst, was ich zu ihm sagen sollte. Das Telefon klingelte mehrmals am Tag. Ich hatte keine Ahnung, wer da anrief. Vielleicht war es Yuki oder Yumiyoshi. Ich reagierte jedenfalls nicht. In meiner jetzigen Verfassung wollte ich einfach mit niemandem sprechen. Jedes Mal wenn es klingelte, musste ich an meine ehemalige Freundin vom Fernmeldeamt denken. »Kehr zum Mond zurück«, hatte sie gesagt. Ja, du hast Recht. Das sollte ich vielleicht wirklich tun. Hier ist die Luft ein bisschen zu dick für mich, die Erdanziehung ist ein wenig zu stark.
Vier, fünf Tage saß ich nur da und grübelte. Warum? lautete die große Frage. Ich aß kaum, schlief wenig, rührte keinen Tropfen Alkohol an. Da ich das Gefühl hatte, meinen Körper nicht mehr beherrschen zu können, ging ich so gut wie nicht mehr aus dem Haus. Es ist so viel verloren gegangen, dachte ich. Und das Verlieren geht weiter. Und wie immer, bleibe ich allein und verlassen zurück. Genau so. Wie immer. In gewisser Weise waren Gotanda und ich aus dem gleichen Holz geschnitzt. Unsere Situationen waren verschieden, auch unsere Art zu denken und zu fühlen. Aber dennoch gehörten wir zur gleichen Sorte Mensch. Wir waren die ewigen Verlierer. Und jetzt verloren wir uns auch noch gegenseitig.
Ich dachte an Kiki, rief mir ihr Gesicht vor Augen. Was ist denn los? hatte sie gesagt. Sie war tot, in der Erde verscharrt. Wie Sardine, mein toter Kater. Ich hatte das Gefühl, dass Kiki gestorben war, weil sie hatte sterben sollen. Merkwürdig, diese Vorstellung, aber ich konnte mich ihrer nicht erwehren. Es war ein Gefühl von Resignation. Eine Resignation so still wie Regen, der unaufhörlich auf das große, weite Meer fällt. Ich empfand nicht einmal
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