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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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betrachteten ihn eine Weile.
    »Was das alte Hotel anbelangt«, begann sie, unterbrach sich jedoch sogleich. »Aber sagen Sie, sind Sie nicht Reporter oder so etwas?«
    »Reporter?«, fragte ich verdutzt zurück. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Ach, ich wollte mich nur vergewissern.«
    Ich sagte nichts darauf. Sie biss sich auf die Unterlippe und fixierte einen Punkt an der Wand.
    »Es hat einmal Scherereien gegeben«, fuhr sie fort. »Und seitdem ist die Geschäftsleitung sehr auf der Hut, was die Medien angeht. Es ging um Grundstückserwerbungen, Korruption und so etwas. Verstehen Sie? Wenn zu viel geredet wird, könnte das Hotel darunter leiden. Ein schlechtes Image ist für einen gastronomischen Betrieb der Ruin.«
    »Ist denn darüber berichtet worden?«
    »Einmal. Vor einer Weile, in einem Wochenmagazin. Es gab gewisse Andeutungen über schmutzige Geschäfte und einen Skandal. Angeblich hatte die Firma Yakuzas oder Rechtsradikale beauftragt, demjenigen, der sich der Räumung widersetzt hatte, Druck zu machen. Irgendetwas in der Richtung.«
    »Heißt das, das alte Hotel war in diese Scherereien verwickelt?«, hakte ich nach.
    Sie zuckte kurz mit den Schultern und nippte an ihrem Glas. »Wäre denkbar, oder? Sonst hätte der Manager nicht so nervös reagiert, als Sie das alte Hotel erwähnten. Er wirkte ziemlich alarmiert, fanden Sie nicht? Genaue Einzelheiten sind mir auch nicht bekannt. Aber von irgendjemandem hörte ich mal, der Name Dolphin sei vom alten Hotel übernommen worden.«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Einer von den Schwarzen.«
    »Von welchen Schwarzen?«
    »Na, einer von den schwarz gekleideten Typen.«
    »Aha. Und sonst haben Sie über das alte Hotel Delfin nichts erfahren?«
    Sie schüttelte den Kopf und spielte an ihrem Ring. »Ich habe Angst«, wisperte sie. »Ich habe furchtbare Angst. Ich … ich halte das nicht mehr aus.«
    »Wieso Angst? Dass eine Zeitschrift darüber berichtet?« Sie schüttelte den Kopf und presste den Rand ihres Glases gegen die Lippen. Sie schien abzuwägen, wie sie es erklären sollte. »Nein, nicht deswegen. Das hat mit den Medien nichts zu tun. Wenn etwas veröffentlicht wird, was habe ich damit zu tun? Die Geschäftsleitung würde sich dann aufregen, aber ich spreche von etwas ganz anderem. Es ist das Hotel an sich. Wie soll ich sagen … also, in diesem Hotel gehen sonderbare Dinge vor sich. Verrückte … unheimliche Dinge.«
    Sie brach ab und schwieg. Mein Glas war leer. Ich bestellte zwei neue Drinks. »Was heißt, unheimliche Dinge? Könnten Sie da etwas deutlicher werden?« bohrte ich nach. »Sofern es sich um etwas Konkretes handelt.«
    »Natürlich, davon spreche ich ja«, sagte sie leicht patzig. »Es sind durchaus konkrete Dinge vorgefallen, aber es ist nicht so einfach, sie treffend zu beschreiben. Deshalb habe ich auch bisher niemandem davon erzählt. Ich meine, es war ganz real, was ich erlebt habe, aber sobald ich es in Worte fassen will, habe ich das Gefühl, dass es mir entgleitet und unwirklich klingt. Es lässt sich nicht beschreiben.«
    »So wie ein Traum, der äußerst real erscheint?«
    »Nein, nein, mit Träumen hat das nichts zu tun. Ich träume zwar auch viel, aber Träume verblassen nach einer Weile. Das da ist etwas völlig anderes. Es verändert sich nicht, sondern ist und bleibt real, für immer und ewig. Es wird nie vergehen. Immer ist es real, direkt vor meinen Augen.«
    Ich wusste darauf nichts zu sagen.
    »Okay, dann werde ich es doch einmal versuchen«, sagte sie, nahm einen Schluck Bloody Mary und betupfte sich mit der Serviette die Lippen. »Es war im Januar. Anfang Januar, gleich nach Neujahr. Ich hatte Spätschicht – normalerweise mache ich das nicht, aber diesmal musste ich einspringen. Meine Schicht war dann erst gegen Mitternacht zu Ende. Zu dieser späten Stunde werden wir in Taxis nach Hause gebracht, da die Bahn nicht mehr fährt. Nachdem ich mich umgezogen hatte, bemerkte ich, dass ich im Aufenthaltsraum mein Buch liegen gelassen hatte. Es hätte natürlich bis zum nächsten Tag Zeit gehabt, aber da ich mitten in der Lektüre war und das andere Mädchen, mit dem ich mir das Taxi teilen sollte, noch nicht fertig war, beschloss ich, es doch zu holen. Ich ging zum Personalaufzug und drückte den Knopf für die sechzehnte Etage, wo sich sämtliche Personaleinrichtungen befinden, auch der Aufenthaltsraum, in dem wir Pause machen, Tee trinken und so was. Wir sind also häufig da oben.
    Na ja, die Fahrstuhltür ging auf, und

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