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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und schaute mir die Frühnachrichten an. Es ging um die bevorstehenden Wahlen. Eine Viertelstunde später stand ich auf und ging ins Bad, wo ich mich wusch und rasierte. Als Muntermacher summte ich die Ouvertüre aus Die Hochzeit des Figaro . Oder war es Die Zauberflöte ? Je mehr ich darüber nachgrübelte, umso weniger konnte ich die beiden Melodien auseinander halten. Was war nun welche? Beim Rasieren schnitt ich mich, und als ich mir das Hemd überziehen wollte, sprang ein Knopf ab. Das konnte ja heiter werden.
    Beim Frühstück entdeckte ich das Mädchen aus der Bar. Sie saß mit einer Frau am Tisch, die ich für ihre Mutter hielt. Das Mädchen trug dasselbe Genesis-Sweatshirt wie gestern, war diesmal aber nicht an ihren Walkman gestöpselt. Rührei und Brot lagen unberührt auf ihrem Teller, sie nippte nur gelangweilt am Tee. Ihre Mutter – falls ich Recht hatte – war eine zierliche Frau Anfang vierzig. Straff zurückgebundene Frisur. Der Schwung ihrer Augenbrauen glich dem der Tochter. Schlanke, wohlgeformte Nase. Über der weißen Bluse trug sie einen kamelhaarfarbenen Pulli, offenbar Kaschmir. Wie sie sich gab und kleidete, wirkte sie ausgesprochen elegant. Eine Frau, die sich ihrer Wirkung auf andere sehr wohl bewusst war. Die Miene, mit der sie ihren Toast mit Butter bestrich, hatte etwas anrührend Weltüberdrüssiges. Als ich an ihrem Tisch vorbeiging, schaute das Mädchen zu mir hoch. Und warf mir ein freundliches Lächeln zu, weit eindeutiger als am Abend zuvor. Ein unmissverständliches Lächeln.
    Während ich allein frühstückte, versuchte ich einen Gedanken zu fassen, doch nach diesem Lächeln konnte ich mich auf nichts konzentrieren. Was mir auch in den Sinn kam, es wirbelte mir nur im Kopf herum. Schließlich starrte ich einfach auf den Pfefferstreuer und aß, ohne an etwas zu denken.

7
    Es gab für mich nichts zu tun. Nichts, was ich tun sollte, und nichts, was ich tun wollte . Ich war eigens nach Sapporo gefahren, um mich im Hotel Delfin einzuquartieren, doch das Objekt meiner Mission war restlos verschwunden. Kapitulation.
    Ich fuhr hinunter in die Empfangshalle, setzte mich auf eins der Luxussofas und versuchte, Pläne für den Tag zu schmieden, was mir jedoch nicht gelang. Sollte ich die Stadt besichtigen? Aber was und wo? Oder lieber ins Kino gehen? Nein, es gab keinen Film, den ich sehen wollte. Außerdem war ich nicht so weit gefahren, um hier in Sapporo ins Kino zu gehen, nur um die Zeit totzuschlagen. Das wäre einfach zu albern. Tja, also was dann?
    Eigentlich wäre ja ein Friseurbesuch fällig. In Tokyo war ich immer so beschäftigt, dass ich nie Zeit dazu fand. Das letze Mal hatte ich mir vor sechs Wochen die Haare schneiden lassen. Gute Idee, reell und noch dazu gesund. Wenn man nichts Besseres zu tun hat, sollte man zum Friseur gehen. Eine konsequente Sache, kein Einfall, für den man sich zu schämen braucht. Also machte ich mich auf den Weg zum Hotelcoiffeur. Schicker Laden, angenehme Atmosphäre. Ich hatte gehofft, viel Betrieb vorzufinden, sodass ich hätte warten müssen, aber an einem Wochentag morgens war natürlich noch kein Kunde da. An der blaugrauen Wand hing ein abstraktes Gemälde, und zur Berieselung lief Jacques Loussiers Play Bach . Ein völlig neues Friseurfeeling, eigentlich gar nicht mehr als solches zu bezeichnen. Demnächst wird man vermutlich in Badehäusern Gregorianische Gesänge hören und Ryuchi Sakamoto im Warteraum beim Finanzamt. Der Friseur, der sich mit meinem Haar befasste, war blutjung, wohl gerade mal zwanzig. Auf meine Bemerkung, dass es hier einmal ein kleines Hotel gleichen Namens gegeben habe, sage er ziemlich desinteressiert: »Aha.« Noch ein Stadtunkundiger. Ihm war alles schnuppe. Cooler Typ. Trug ja auch ein Designerhemd von Bigi. Dennoch, vom Haareschneiden verstand er was. Fürs Erste zufriedengestellt, verließ ich den Laden.
    Ich überlegte, was ich als Nächstes tun konnte. Bisher hatte ich erst eine dreiviertel Stunde herumgekriegt.
    Keine Idee.
    Also kehrte ich vorläufig zu meinem Sofa im Foyer zurück und schaute durch die Gegend. Die junge Empfangsdame mit der Brille hatte heute wieder Dienst. Von mir beobachtet, schien sie nervös zu werden. Löste meine Anwesenheit etwa eine Reaktion bei ihr aus? Unwahrscheinlich. Inzwischen war es elf. Keine ungewöhnliche Zeit, um an Lunch zu denken. Ich ging nach draußen und überlegte unterwegs, wo ich essen sollte, fand aber kein Lokal, das mir zusagte. Besonderen Appetit hatte ich

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