Tanz mit dem Schafsmann
fuhren dann zu dritt hoch in den sechzehnten Stock. Nur um zu schauen, was da los sei. Doch alles war völlig normal, wie üblich. Die Beleuchtung funktionierte tadellos, kein muffiger Geruch, alles war in bester Ordnung, so wie es sein sollte. Wir gingen in den Aufenthaltsraum und fragten den Typen, der dort gerade Pause machte, ob er irgendetwas bemerkt hätte. Aber der beteuerte, er sei die ganze Zeit wach gewesen und könne bezeugen, dass es keinen Stromausfall gegeben hatte. Dann liefen wir noch einmal, nur um ganz sicher zu sein, den gesamten Korridor ab, entdeckten jedoch nichts Außergewöhnliches. Es war wie verhext. Nachdem wir wieder nach unten gefahren waren, führte mich der Manager in sein Büro. Ich dachte, er würde mich gleich zusammenstauchen, doch er regte sich kein bisschen auf. Stattdessen forderte er mich auf, ihm nochmals ausführlich zu berichten, was da oben geschehen sei. Also schilderte ich ihm alles, so gut ich konnte, von Anfang an bis zu den Schritten, die mich verfolgt hatten. Es klang alles so kindisch. Bestimmt lacht er mich aus, dachte ich, und sagt mir, dass ich das wohl nur geträumt hätte.
Aber statt zu lachen machte er ein todernstes Gesicht. Dann beschwor er mich: ›Sie dürfen mit niemandem darüber sprechen.‹ Er redete sehr freundlich mit mir. ›Irgendetwas stimmt da oben nicht, aber wir sollten die anderen Angestellten nicht unnötig ängstigen. Also bewahren Sie bitte Stillschweigen über die Angelegenheit.‹ Und dabei ist unser Manager nicht gerade der Edelmütigste. Er tut sonst immer so überheblich. Vermutlich war ich nicht die Erste, der so etwas passiert ist.«
Sie hörte auf zu sprechen. Ich versuchte, das, was sie mir erzählt hatte, in meinem Kopf zu ordnen. Jetzt war ich an der Reihe, etwas zu sagen.
»Nun, hat denn außer Ihnen wirklich niemand sonst von so etwas gesprochen? Von irgendwelchen Sonderbarkeiten, die Ihrem Erlebnis ähneln? Merkwürdige, unheimliche Vorkommnisse? Vielleicht auch bloß Gerüchte?«
Sie überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste. Es gehen dort wirklich merkwürdige Dinge vor sich. Das spüre ich. Die Art, wie der Manager auf das, was ich ihm erzählt habe, reagiert hat, und dieses ständige Getuschel. Es ist schwer zu beschreiben, aber irgendetwas ist da faul. Es ist ganz anders als in dem Hotel, in dem ich vorher gearbeitet habe. Es war natürlich ein kleinerer Betrieb, und deshalb kann man beide nicht so recht miteinander vergleichen, aber das hier ist schon äußerst merkwürdig. Jenes Hotel hatte übrigens auch seine Geistergeschichte – wahrscheinlich hat die jedes Hotel –, aber man konnte sich darüber amüsieren. Hier liegt der Fall ganz anders. Die Stimmung ist jedenfalls nicht lustig, eher extrem beängstigend. Es wäre eine richtige Erleichterung gewesen, wenn der Manager mich ausgelacht oder sich über mich aufgeregt und mich angeschrien hätte. Dann hätte ich vermutlich geglaubt, mit mir stimme etwas nicht. Aber so.«
Ihre Augen verengten sich. Sie starrte auf ihr Glas.
»Sind Sie denn danach noch mal in den sechzehnten Stock gefahren?«, fragte ich.
»Andauernd«, erwiderte sie mit flacher Stimme. »Es ist immer noch mein Arbeitsplatz. Also muss ich dorthin, egal, ob ich will oder nicht. Aber ich fahr da nur noch tagsüber rauf, abends nicht mehr, auf keinen Fall. Ich möchte das nicht noch mal durchmachen. Deshalb übernehme ich auch keinen Spätdienst mehr. Das habe ich auch meinem Vorgesetzten gesagt, klipp und klar.«
»Und Sie haben wirklich mit niemandem sonst darüber gesprochen?«
Sie schüttelte kurz den Kopf. »Wie gesagt, dies ist das erste Mal. Es gibt sonst niemanden, mit dem ich darüber sprechen könnte. Ihnen habe ich es erzählt, weil ich hoffte, Sie wüssten vielleicht, was im sechzehnten Stock vor sich geht.«
»Ich? Wie kommen Sie darauf?«
Sie sah mich mit verschwommenem Blick an. »Tja, ich weiß auch nicht … vielleicht, weil Sie das alte Hotel kannten und sich erkundigt haben, was daraus geworden ist. Ich habe irgendwie die Hoffnung, dass Ihnen etwas dazu einfällt, ich meine, zu dem, was ich erlebt habe.«
»Ich fürchte, nein«, sagte ich nach kurzem Überlegen. »Ich weiß auch nichts Näheres über das Hotel. Das alte Delfin war klein und kaum besucht. Vor vier Jahren habe ich während meines Aufenthalts dort den Besitzer kennen gelernt und wollte jetzt mal wieder bei ihm vorbeischauen. Das alte Delfin war ein ganz gewöhnliches Hotel.
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