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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ich trat wie üblich auf den Gang. Habe mir überhaupt nichts dabei gedacht. Wieso auch? Ich tue das doch sonst auch, bin daran gewöhnt, der Ort ist mir vertraut. Eine mechanische Handlung, über die man nicht nachdenkt. Ich trat also aus dem Fahrstuhl, als wär’s das Normalste von der Welt. Mir ging irgendetwas durch den Kopf, ganz bestimmt. Aber ich weiß nicht mehr was. Beide Hände in den Manteltaschen, stand ich im Korridor und bemerkte mit einem Mal, dass es um mich herum dunkel war. Stockdunkel. Ich drehte mich um, aber die Fahrstuhltür hatte sich bereits geschlossen. Zuerst dachte ich natürlich, der Strom sei ausgefallen. Aber das konnte nicht sein, denn das Hotel besitzt ein Notstromaggregat, das automatisch anspringt, sobald eine elektrische Störung auftritt. Und zwar auf der Stelle, wirklich. Das weiß ich genau, denn darauf wurden wir beim Training hingewiesen. Ein Totalausfall ist demnach theoretisch undenkbar. Und sollte dieser höchst seltene Fall, dass die Notstromversorgung versagt, doch mal eintreten, dann würden die Notlampen in den Korridoren leuchten. Es konnte also unmöglich stockdunkel sein. Eigentlich hätte im Flur grünes Licht brennen müssen. Unter allen Umständen.
    Doch um mich herum herrschte totale Finsternis. Das einzig Erkennbare war das rote Leuchten des Fahrstuhlknopfs und der Etagenanzeige. Ich drückte also sofort auf den Knopf, aber der Fahrstuhl fuhr bereits abwärts. Und kam nicht wieder. Was sollte ich tun? Ich beschloss, mich ein bisschen umzuschauen. Natürlich hatte ich eine Heidenangst, aber irgendwie war ich auch genervt. Und wissen Sie, warum?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Bei dieser Dunkelheit konnte etwas mit den Grundfunktionen des Hotels nicht stimmen. Mechanisch, von der Konstruktion her oder was weiß ich. Und das würde für erheblichen Aufruhr sorgen. Für unsereins bedeutet das Urlaubsverkürzung, Überstunden, pausenlos Schulungen. Und die gesamte Chefetage spielt dann verrückt. Ich hatte es einfach satt, wo ich mich doch gerade eingelebt hatte.«
    »Aha«, sagte ich.
    »Bei diesem Gedanken wurde ich immer wütender. Schließlich siegte die Wut über die Angst, und so beschloss ich, mich ein wenig umzusehen. Langsam tastete ich mich vorwärts. Das Merkwürdige war, dass meine Schritte ganz anders klangen als sonst. Ich trug flache Schuhe, aber es hallte ganz fremd. Der übliche Teppichläufer war nicht spürbar, der Boden war irgendwie uneben. Ehrlich. Ich bin in solchen Dingen äußerst sensibel. Und auch die Luft war so seltsam. Wie soll ich sagen, es roch irgendwie muffig. Die Luft im Hotel ist normalerweise ganz anders. Wir sind nämlich voll klimatisiert, darauf legt man hier besonderen Wert. Keine gewöhnliche Ventilation, sondern es wird gute Luft erzeugt. Nicht dieses trockene Klima wie in anderen Hotels, das einem die Nasenschleimhäute ausdörrt. Unsere Luft ist so wie die natürliche, ganz frisch. Es war kaum zu fassen, dieser Mief. Abgestandene Luft, richtig alt, Jahrzehnte alt. So wie früher bei meinen Großeltern auf dem Land. Wenn man die Luke zum Speicher aufmachte, schlug einem auch so ein Mief entgegen. Kein Wunder bei all dem Krempel, der da vor sich hin gemodert hat.
    Ich wandte mich wieder zum Fahrstuhl um, doch jetzt leuchtete auch der Knopf nicht mehr. Ich sah meine eigene Hand nicht. Alles war tot, komplett tot. In diesem Moment wurde mir ziemlich mulmig. Ist ja auch verständlich, oder? Ganz allein dieser absoluten Finsternis ausgesetzt, wer hätte da keine Angst? Außerdem war es mucksmäuschenstill. Nicht das geringste Geräusch. Komisch, nicht wahr? Bei einem totalen Stromausfall würde doch ein schrecklicher Tumult herrschen. Das Hotel war fast ausgebucht, die Leute hätten sich doch laut bemerkbar gemacht. Aber stattdessen herrschte nur diese unheimliche Stille. Ich wusste weder ein noch aus.«
    Wir nahmen jeder einen Schluck. Sie setzte ihr Glas wieder ab und schob sich die Brille zurecht. Ich sagte nichts und wartete darauf, dass sie weitererzählte.
    »Können Sie mir so weit folgen?«
    »Nur zu gut«, erwiderte ich. »Sie traten aus dem Fahrstuhl im sechzehnten Stock. Es war stockdunkel, es roch komisch. Und es herrschte Totenstille. Da muss was faul sein.«
    Sie stieß einen Seufzer aus. »Wissen Sie, ohne mich jetzt selbst loben zu wollen, ich halte mich nicht für besonders feige. Für eine junge Frau bin ich sogar recht mutig. Natürlich fürchte ich mich auch manchmal, aber ich flippe nicht gleich aus, wenn

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