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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Ich komme um halb neun.«
    Ich steckte den Zettel ein.
    Jetzt war sie es, die mich anblickte. »Bitte denken Sie nicht, dass ich spinne. Es ist das erste Mal, dass ich so etwas tue. Ich habe noch niemals gegen die Arbeitsbestimmungen verstoßen. Aber diesmal bleibt mir keine andere Wahl. Ich erkläre es Ihnen nachher.«
    »Nein, nein, ich glaube nicht, daß Sie spinnen. Keine Sorge«, beruhigte ich sie. »Ich beiße auch nicht. Vielleicht bin ich nicht gerade der Allersympathischste, aber ich tue niemandem etwas Böses.«
    Sie wusste wohl nicht so recht, wie das aufzufassen war, denn sie spielte schon wieder verunsichert mit ihrem Kugelschreiber. Schließlich schenkte sie mir ein vages Lächeln und schob sich die Brille zurecht. »Dann bis später«, verabschiedete sie sich mit einer förmlichen Verbeugung und kehrte wieder nach vorne an ihren Arbeitsplatz zurück.
    Ein reizendes Geschöpf, wenn auch ein bißchen unsicher.
    Ich fuhr hinauf in mein Zimmer und holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank, um es zu dem Roastbeef-Sandwich zu trinken, das ich in der Lebensmittelabteilung im Kaufhaus besorgt hatte. Na bitte. Zumindest kam jetzt Bewegung in die Sache. Wir rollten vorwärts. Wenn auch noch im niedrigen Gang. Nicht schlecht.
    Ich ging ins Bad, wusch mir das Gesicht und rasierte mich erneut. Stumm, gelassen, ohne zu summen, ohne zu pfeifen. Dann putzte ich mir die Zähne und musterte mich im Spiegel, zum ersten Mal seit langem. Keine großartigen Entdeckungen, kein euphorisches Gefühl. Dieselbe Visage wie eh und je.
    Um halb acht verließ ich das Hotel und winkte ein Taxi herbei. Der Fahrer schaute sich die Wegskizze an, nickte wortlos und fuhr mich zu dem vereinbarten Ort. Nach einer Fahrt, die etwas über tausend Yen kostete, hielten wir vor einer winzigen Bar im Souterrain eines vierstöckigen Gebäudes. Als ich eintrat, lief gerade eine alte Gerry-Mulligan-Platte mit einem schmeichelnden Sound. Sie stammte aus der Zeit, als Mulligan, zu dessen Band damals Chet Baker und Bob Brookmayer gehörten, noch einen Bürstenschnitt trug und mit offenem Hemd spielte. Ich habe sie früher oft gehört. Das war noch, bevor Adam Ant auf der Bildfläche erschien.
    Adam Ant.
    Was für ein blöder Name.
    Ich setzte mich an die Theke und lauschte dem wunderbaren Solo von Mulligan bei einem Glas Whiskey-Soda, den ich in langsamen Schlucken genoss. Um viertel vor neun war sie immer noch nicht erschienen. Es kümmerte mich nicht weiter. Die Bar war sehr gemütlich, und im Zeit-Totschlagen war ich inzwischen geübt. Ich schlürfte meinen Drink, und als das Glas leer war, bestellte ich einen neuen. Da es nichts Interessantes zu beobachten gab, stierte ich auf den Aschenbecher.
    Um fünf nach neun kam sie endlich.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich hastig. »Ich musste länger bleiben. Plötzlich gab es noch so viel zu tun, und meine Ablösung hat sich auch verspätet.«
    »Macht doch nichts. Wegen mir brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, beruhigte ich sie. »Ich muss ohnehin nur die Zeit rumkriegen.«
    Sie schlug vor, dass wir uns an den Tisch in der hintersten Ecke setzten. Also nahm ich mein Glas und wechselte den Platz, während sie ihre Lederhandschuhe, ihren karierten Schal und ihren grauen Mantel ablegte. Sie trug einen schicken dunkelgrünen Wollrock und dazu einen leichten gelben Pulli, der ihre wohlgeformten Brüste erkennen ließ, die üppiger waren, als ich mir vorgestellt hatte. Ihre Ohren zierten ein Paar elegante Goldclips.
    Sie ließ sich eine Bloody Mary kommen und nippte daran. Ich fragte sie, ob sie schon zu Abend gegessen habe. Noch nicht, erwiderte sie. Aber sie habe keinen richtigen Hunger, da sie um vier etwas gegessen habe. Ich nahm einen ordentlichen Schluck Whiskey, sie nippte wieder nur an ihrem Drink. Noch ganz abgehetzt, musste sie sich erst einmal beruhigen. Ich beobachtete sie und knabberte pausenlos Nüsse, bis sie sich gesammelt hatte. Schließlich stieß sie einen langen Seufzer aus. Einen äußerst langen. So lang, dass sie selbst darüber erschrocken war. Sie blickte auf und sah mich nervös an.
    »Viel los bei der Arbeit?«, fragte ich.
    »Oh ja«, antwortete sie. »Es ist ziemlich hart. Ich bin noch nicht so recht daran gewöhnt. Das Hotel ist gerade erst eröffnet worden, und die da oben reagieren noch ziemlich überempfindlich.« Sie legte ihre gefalteten Hände auf den Tisch. Am kleinen Finger trug sie einen Ring. Nichts Protziges, nur einen schlichten Silberreif. Wir beide

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