Tanz mit dem Schafsmann
schon denkt sie an nichts anderes mehr. Hinterher tut es ihr dann leid. Doch gleich darauf passiert wieder das Gleiche. Sie schleppt mich aus einer Laune heraus mit nach Hokkaido, was ja eigentlich auch Spaß macht, aber dann lässt sie mich im Hotelzimmer zurück, wo ich den ganzen Tag nur Walkman höre. Lässt sich kaum noch blicken, und ich muss dann allein essen gehen. Inzwischen macht mir das nichts mehr aus. Sie sagt, sie wäre diesmal in einer Woche wieder da. Aber wer weiß? Wahrscheinlich fliegt sie von Katmandu noch woanders hin.«
»Wie heißt deine Mutter eigentlich?«
Den Namen, den sie nannte, hatte ich noch nie gehört.
»Sie hat aber noch einen Künstlernamen. Als Fotografin nennt sie sich Ame. Regen. Deshalb heiße ich Yuki. Schnee. Blöd, was? Aber typisch für sie.«
Der Name Ame sagte mir natürlich etwas. Wer kennt ihn nicht? Vielleicht ist sie sogar die berühmteste Fotografin in Japan. Taucht aber nie in den Medien auf, auch sonst nicht in der Öffentlichkeit. Ihr richtiger Name ist somit erst recht nicht bekannt. Sie gilt als exzentrisch. Macht nur das, was ihr gefällt. Schockierende, eindringliche Fotografien. Ich schüttelte den Kopf. »Demnach ist dein Vater der Schriftsteller Hiraku Makimura?«
Achselzucken. »Kein übler Kerl, nur leider untalentiert.«
Vor Jahren hatte ich ein paar Bücher von ihm gelesen. Zwei Romane und eine Kurzgeschichte aus seinem Frühwerk. Sie waren nicht schlecht. Origineller Stil, origineller Standpunkt. Seine Bücher wurden dann auch zu Bestsellern. Er war der Liebling der Literaturgemeinde. Er tauchte im Fernsehen, in Magazinen und sonstwo auf und äußerte sich zu allen möglichen gesellschaftlichen Phänomenen. Damals heiratete er eine angehende Fotografin namens Ame. Das war seine Glanzzeit. Danach ging es bergab mit ihm. Ohne ersichtlichen Grund brachte er nichts Anständiges mehr zu Papier, sondern schrieb nur noch belangloses Zeug. Die nächsten zwei, drei Bücher von ihm waren Flops. Die Kritiker verrissen ihn, und er verkaufte sich nicht mehr.
Daraufhin änderte Makimura radikal seinen Stil. Aus einem Verfasser naiver Jugendliteratur wurde plötzlich ein Avantgarde-Schriftsteller. Inhaltlich blieben seine Werke allerdings nichtssagend. Makimura versuchte seinen Stil mehr und mehr dem französischen Nouveau Roman anzunähern und fabrizierte dabei nur Mist. Trotzdem gelang es ihm, einige phantasielose Kritiker für sich zu gewinnen, die auf neue Trends standen. Doch zwei Jahre später sahen auch diese Kritiker ein, dass seine Bücher nichts taugten, und schwiegen ihn tot. Ich begreife nicht, wie so etwas passieren kann. Sein Talent hatte sich jedenfalls nach den ersten drei Frühwerken völlig erschöpft. Nur stilistisch bewies er einiges Geschick. Wie ein kastrierter Köter, der nur noch der Erinnerung wegen das Hinterteil einer Hündin beschnüffelt, lungerte er in den Gefilden der Literatur herum. Zu jener Zeit hatte sich Ame schon von ihm scheiden lassen. Oder um genauer zu sein, sie hatte ihn abgeschrieben. Zumindest nach Auffassung der Öffentlichkeit.
Doch noch war es mit Makimura nicht vorbei. In den frühen Siebzigern erschloss er sich ein neues Betätigungsfeld, indem er sich zum Abenteuerschriftsteller kürte. Avantgarde ade, jetzt waren Action und Abenteuer angesagt. Er bereiste exotische Regionen, die ihm den Stoff für seine Essays lieferten. Aß rohes Seehundfleisch bei den Eskimos, lebte mit afrikanischen Ureinwohnern und recherchierte in südamerikanischen Guerrilla-Camps. Außerdem übte er bissig Kritik an nicht engagierten Elfenbeinturm-Literaten. Zuerst war das ja alles ganz schön und gut, aber nach zehn Jahren hatte man das ewig gleiche Strickmuster verständlicherweise satt. Irgendwann erschöpft sich das irdische Arsenal an Abenteuern. Wir leben nicht mehr in den Zeiten von Livingstone und Amundsen. Der Stoff für Sensationen war verbraucht, nur seine Prosa war pompös wie eh und je.
Zudem waren die Abenteuer keine mehr. Bei seinen groß angelegten »Expeditionen« hatte er eine Riesengefolgschaft im Schlepptau: Koordinatoren, Redakteure, Kameramänner und so weiter. War das Fernsehen mit von der Partie, dann gesellten sich noch ein umfangreiches Filmteam und Sponsoren dazu. Manchmal wurde auch inszeniert, und im Laufe der Zeit geschah das immer häufiger. Innerhalb der Branche war das kein Geheimnis.
Vielleicht war er wirklich kein übler Kerl. Aber eben untalentiert. Wie seine Tochter gesagt hatte.
Wir sprachen
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