Tanz mit dem Schafsmann
positiven Denkens. Fünf Minuten positiv gedacht, und schon zuckten die Geistesblitze. Vielleicht klappt’s, vielleicht auch nicht. Es war jedenfalls bei weitem besser, als hier an diesem lärmenden, verrauchten Ort herumzulungern und die Zeit totzuschlagen. Ich sagte Yuki, sie solle hier einen Moment warten, und ging zum Rent-A-Car-Schalter. Als ich sagte, ich wolle einen Wagen mieten, füllte die Frau sofort die Formulare aus. Ich bekam einen Toyota Corolla Sprinter mit Stereoanlage. Ein Minibus brachte mich zu der Geschäftsstelle, wo ich die Autoschlüssel abholte. Das Büro lag etwa zehn Minuten entfernt. Es war ein ganz neuer Wagen, weiß mit Winterreifen. Ich stieg ein und fuhr zum Flughafen zurück. Ich ging in die Cafeteria und sagte zu Yuki: »Wir fahren in den nächsten drei Stunden ein bisschen durch die Gegend.«
»Wie, bei diesem Schneesturm? Man kann doch gar nichts erkennen«, sagte sie verblüfft. »Wo sollen wir denn hin?«
»Nirgendwohin. Einfach nur durch die Gegend fahren und Musik hören. Das macht dir doch Spaß, oder? Wir drehen die Anlage ganz laut auf. Das ewige Walkman-Hören ist nicht gut für deine Ohren.«
Ihr leichtes Kopfschütteln drückte Skepsis aus. Doch als ich sagte, »Los, wir gehen«, stand sie auf und trottete mit.
Ich verstaute ihr Gepäck im Kofferraum und fuhr im gemäßigten Tempo ohne Ziel durch die verschneite Landschaft. Yuki fischte eine Kassette aus ihrer Schultertasche und schob sie in den Rekorder. David Bowie sang China Girl. Es folgten Phil Collins, Jefferson Starship, Thomas Dolby, Tom Petty & The Heartbreakers, Hall & Oates, Thompson Twins, Iggy Pop, Bananarama und so weiter – was Teenager eben so hören.
Irgendwann kamen die Stones mit Goin to a Go-Go. »Das Stück kenne ich«, rief ich. »Aber die alte Version von den Miracles. Smokey Robinson & The Miracles. Ich war damals fünfzehn oder sechzehn.«
»Aha«, sagte Yuki teilnahmslos.
»Goin to a Go-Go«, sang ich mit.
Als Nächstes kamen Paul McCartney und Michael Jackson mit Say Say Say. Es war kaum Verkehr auf den Straßen. Eigentlich überhaupt keiner. Der Scheibenwischer ackerte sich tot, um die Schneeflocken zu beseitigen. Im Auto war es warm, und die Rockmusik tat gut. Sogar Duran Duran. Entspannt steuerte ich den Wagen die schnurgeraden Straßen entlang und stimmte hin und wieder in die Songs mit ein. Auch Yuki wirkte gelassener. Als ihr 90er-Tape abgelaufen war, fiel ihr Blick auf die Kassette, die ich mir von der Autovermietung geliehen hatte. »Was ist denn da drauf?« fragte sie. Oldies, antwortete ich.
»Würd ich gern hören«, sagte Yuki.
»Ich weiß nicht, ob dir das gefällt. Alles alter Kram«, wandte ich vorsichtshalber ein.
»Kein Problem. Ich hab’ zehn Tage lang immer das Gleiche gehört.«
Ich schob die Kassette in den Schlitz. Zuerst sang Sam Cooke Wonderful World. Don’t know much about history … – ein toller Song. Der gute Sam wurde erschossen, als ich in die neunte Klasse ging. Es folgte Oh Boy von Buddy Holly. Kam ebenfalls ums Leben. Bei einem Flugzeugabsturz. Bobby Darin – Beyond the Sea . Weilt auch nicht mehr unter den Lebenden. Hound Dog von Elvis. An Drogen gestorben. Alle mausetot. Es folgte Chuck Berry: Sweet Little Sixteen. Dann kam Summertime Blues von Eddie Cochran und die Everly Brothers mit Wake up Little Susie .
Und ich sang eifrig jede Zeile mit, die ich behalten hatte.
»Du hast ja ein tolles Gedächtnis«, sagte Yuki, sichtlich beeindruckt.
»Warum auch nicht? Ich habe früher genauso begeistert Musik gehört wie du«, sagte ich. »Als ich in deinem Alter war. Ich hing jeden Tag vor dem Radio und kratzte mein letztes Taschengeld zusammen, um mir Platten zu kaufen. Rock ’n Roll – das Beste, was die Welt zu bieten hat, fand ich. Allein das Zuhören hat schon selig gemacht.«
»Und jetzt?«
»Jetzt höre ich auch noch Musik. Mitunter gibt es Stücke, die mir gefallen. Aber ich höre sie nicht so begeistert, dass ich mir die Texte merke. Irgendwie berührt mich die Musik nicht mehr.«
»Wieso?«
»Tja, wieso …«
»Los, sag schon«, drängte Yuki.
»Mir wird immer klarer, dass es nur ganz wenig wirklich gute Dinge gibt«, erwiderte ich. »Ausgesprochen wenig sogar. Sei es bei Büchern, Filmen oder Konzerten. Das gilt auch für die Rockmusik. Wenn ich Radio höre, ist in einer Stunde vielleicht ein guter Song dabei. Alles andere ist Massenware, Müll. Früher habe ich über so was gar nicht nachgedacht. Mir hat alles gefallen, was
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