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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sich nicht mehr erkennen, ob die Frau einmal schön war. Sie ist nur noch ein Klumpen verwesendes Fleisch. Wie ein verfaultes Steak. Der Gestank verdirbt einem erst mal für eine Weile den Appetit. In unserem Job ist man zwar einiges gewohnt, aber dieser Gestank ist einfach unsäglich. Was schließlich bleibt, ist dann nur noch das Skelett. Kein Verwesungsgestank mehr. Alles knochentrocken. Schneeweiß und schön – ein reines Skelett. Bei ihr war es natürlich noch nicht so weit. Sie war noch nicht verwest. Einfach nur tot. Kalt und starr. Ganz steif. Man hat sofort erkannt, dass es ein Klasseweib war. Wenn sie am Leben gewesen wäre, hätte man Lust auf sie gehabt. Aber bei einer Toten empfindet man nichts mehr. Zwischen einer Leiche und einem Lebenden besteht ein himmelweiter Unterschied. Ein Toter ist wie ein Bildnis aus Stein. Wenn man diese Grenzlinie überschritten hat, ist alles zunichte. Aus und vorbei. Man kann dann nur noch drauf warten, verbrannt zu werden. Ein so hübsches Ding. Welch ein Jammer! Wenn sie noch am Leben wäre, würde sie auch weiterhin so klasse aussehen. Jemand hat sie umgebracht. Eine Schande. Auch sie hatte ein Recht auf Leben. Sie war erst Anfang zwanzig. Jemand hat sie mit einem Strumpf erdrosselt. Ein qualvoller Tod. Es geht nicht so fix, sondern ist äußerst grausam. Man kriegt es voll mit, dass man stirbt. Warum muss ich hier und jetzt sterben, fragt man sich. Ich möchte doch noch weiterleben. Wenn der Sauerstoff knapp wird, spürt man, wie man erstickt. Alles verschwimmt vor den Augen und man uriniert. Man möchte sich wehren, hat aber keine Kraft mehr. Ein langsamer Tod. Keine schöne Art zu sterben. Wir möchten dieses Schwein zu fassen bekommen, das dieses junge Mädchen so grausam ermordet hat. Unbedingt. Es war Mord, und noch dazu ein sehr sadistischer. Ein körperlich Überlegener hat ein schwaches Geschöpf auf brutale Weise umgebracht. Das darf nicht geduldet werden. Wenn man so etwas zulässt, wird die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Der Täter muss gefasst und bestraft werden. Das ist unsere gottverdammte Pflicht. Sonst findet er eventuell noch weitere Opfer.«
    »Gestern Mittag hatte die junge Frau ein Doppelzimmer in einem Nobelhotel in Akasaka reserviert. Um fünf hat sie eingecheckt, allein«, zählte Fischer die Fakten auf. »Sie erwähnte, dass ihr Mann später käme. Namen und Telefonnummer waren gefälscht. Sie hat im Voraus bezahlt. Um sechs bestellte sie dann beim Zimmerservice eine Portion Essen. Sie war also zu diesem Zeitpunkt allein. Um sieben stand das Tablett vor ihrer Tür. Das Nicht-stören-Schild hing an der Tür. Check-out war am nächsten Tag um zwölf. Um halb eins rief die Rezeption bei ihr an, aber es ging niemand ans Telefon. Als der Portier mit einem Zweitschlüssel die Zimmertür öffnete, lag sie nackt auf dem Bett, tot. So wie man es auf dem ersten Foto sehen kann. Niemand hatte einen Mann kommen sehen. Im Hotel gibt es ganz oben ein Restaurant, sodass eine Menge Leute mit dem Fahrstuhl unterwegs waren. Übrigens ein beliebter Ort für Stelldicheins. Man bleibt inkognito.«
    »In ihrer Handtasche haben wir nichts gefunden, was auf ihre Identität hinweist«, sagte Schöngeist. »Keinen Führerschein, kein Adressbuch, keine Kreditkarten. Auch keine Initialen an ihrer Kleidung. Nur Schminkzeug, ein Portemonnaie mit dreißigtausend Yen und Antibabypillen, sonst nichts. Bis auf eine Sache, etwas versteckt im Portemonnaie. Eine Visitenkarte, auf der Ihr Name steht.«
    »Wollen Sie immer noch behaupten, Sie kennen sie nicht?« fragte mich Fischer nachdrücklich. Ich schüttelte den Kopf. Ich hätte ihnen ja gern geholfen, den Täter zu fassen, aber ich musste zuerst auf die Lebenden Rücksicht nehmen.
    »Nun, jetzt, wo Sie wissen, weshalb wir sie zum Verhör mit aufs Revier genommen haben, werden Sie uns ja wohl sagen können, wo Sie gestern Nacht gewesen sind, oder?« drängte mich Schöngeist.
    »Um sechs habe ich mir zu Hause etwas zu essen gemacht. Anschließend habe ich gelesen, ein paar Drinks zu mir genommen und bin dann kurz vor zwölf ins Bett gegangen.« Mein Erinnerungsvermögen war wieder da. Wahrscheinlich wegen der Fotos von Mays Leiche.
    »Kann das jemand bezeugen, mit dem Sie im Laufe des Abends zusammen waren?« fragte Fischer.
    »Nein, ich war die ganze Zeit allein.«
    »Und Anrufe? Hat vielleicht jemand mit Ihnen telefoniert?«
    Auch das verneinte ich. »Es gab einen einzigen Anruf um neun, aber nur auf dem

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