Tanz mit dem Schafsmann
passiert ist und du nicht kommen kannst, nicht wahr?«, kam Yuki mir zuvor.
»Ein Zwischenfall«, erklärte ich. »Ich kann wirklich nichts dafür. Die Polizei hat mich gebeten, mit aufs Revier zu kommen. In Akasaka. Es würde zu lange dauern, dir das jetzt zu erklären. Jedenfalls komme ich hier so bald nicht weg.«
»Die Polizei? Was hast du denn angestellt?«
»Gar nichts. Es geht um einen Mordfall, und ich werde vernommen, da ich angeblich darin verwickelt sein soll.«
»So was Blödes«, sagte Yuki ungerührt.
»Aber wirklich«, stimmte ich ihr zu.
»Du hast doch niemanden umgebracht, oder?«
»Natürlich nicht«, entgegnete ich. »Ich baue zwar manchmal Mist und mache Fehler, aber ein Mörder bin ich nicht. Sie wollen nur etwas über die Umstände von mir wissen. Stellen eine Menge Fragen. Es tut mir furchtbar leid, dass ich dich versetzen muss. Ich werde es wieder gutmachen.«
»Echt doof«, sagte sie noch und knallte wie üblich den Hörer auf.
Ich legte auf und reichte Fischer das Telefon hinüber. Die beiden hatten mein Gespräch angestrengt verfolgt, schienen sich aber keinen Reim darauf machen zu können. Wenn sie wüssten, dass ich eine Verabredung mit einem dreizehnjährigen Mädchen hatte, würde sich ihr Verdacht gegen mich erst recht erhärten. Sie würden mich vermutlich für einen perversen Lüstling oder so was halten. Ein vierunddreißigjähriger Mann geht doch nicht mit einem dreizehnjährigen Mädchen aus.
Sie befragten mich nun ausführlich zu Einzelheiten des gestrigen Tages, und Fischer schrieb sämtliche Angaben mit Kuli auf einen Block. Sogar völlig belanglose, blödsinnige Details. Pure Zeit- und Energieverschwendung. Was ich gegessen hatte, wo ich hingegangen war – alles wurde akribisch festgehalten. Ich beschrieb ihnen die genaue Zubereitung des Konyaku-Eintopfs. Schilderte ihnen spaßeshalber, wie ich den Bonito-Trockenfisch geraspelt hatte. Sie fassten das natürlich nicht als Witz auf, sondern hielten alles pedantisch im Protokoll fest. Es wurde eine ziemlich dicke Akte, voller Bagatellen. Um halb sieben ließen sie von einem Lieferservice einen Imbiss kommen. Nicht sehr berauschend. Reinstes Junkfood. Fleischklößchen, Kartoffelsalat, Fischpastete und so’n Zeug. Miese Zutaten und schlecht gewürzt. Fettig, versalzen und mit künstlichen Farbstoffen versaut. Aber da Fischer und Schöngeist ihr Mahl mit Heißhunger verschlangen, aß auch ich alles restlos auf. Ich wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, dass mir die Sache auf den Magen geschlagen war.
Nach dem Essen brachte Schöngeist lauwarmen Tee. Die beiden steckten sich jeweils eine Zigarette an. Der kleine Raum war völlig verqualmt. Mir brannten die Augen, und meine Kleidung stank nach Rauch. Nach der Teepause setzten sie ihr Verhör fort. Eine Anhäufung sinnloser Nebensächlichkeiten. Von wo bis wo ich den Prozess gelesen hätte; um wie viel Uhr ich den Pyjama angezogen hätte – Quatsch dieser Art. Ich gab Fischer eine kurze Inhaltsangabe von Kafkas Roman, aber die schien ihn nicht sonderlich zu fesseln. Vermutlich war die Story für ihn zu banal. Ich fragte mich besorgt, ob Kafkas Literatur wohl das 21. Jahrhundert überleben würde. Nichtsdestotrotz protokollierte Fischer sogar meine Zusammenfassung des Romans. Unfassbar, die Akribie. Kafkaesk, könnte man sagen. Es war alles so absurd. Ich war missmutig und erschöpft. Mein Kopf funktionierte nicht mehr so recht. Die ganze Angelegenheit war mir einfach zu trivial, zu hohl. Aber sie spürten mit einer Eselsgeduld sämtliche Lücken in meinen Angaben auf und hielten meine Antworten detailliert fest. Hin und wieder musste sich Fischer nach der Schreibweise bestimmter Wörter erkundigen. Die ganze Prozedur schien sie überhaupt nicht anzuöden. Vielleicht waren sie ja auch müde, aber das Gekritzel ging weiter. Sie passten höllisch auf, dass ihnen nichts entging, dass alles lückenlos rekonstruiert wurde. Hin und wieder ging einer nach draußen und kam nach ein paar Minuten wieder. Hartgesottene Burschen.
Um acht übernahm Schöngeist die Schreibarbeit. Fischer schien der Arm lahm geworden zu sein, denn er vollführte ein paar Gymnastikübungen – Händeschütteln, Kopfkreisen – im Stehen. Anschließend rauchte er erst mal eine. Schöngeist tat es ihm nach, bevor er weitere Fragen stellte. Das schlecht belüftete Zimmer war nun völlig vernebelt, als stünde man auf der Bühne eines Weather-Report-Konzertes. Ein Gemisch aus Junkfood- und
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