Tanz mit dem Schafsmann
Nikotingeruch. Ich wollte raus, um frische Luft zu schöpfen.
Ich sagte, ich müsse mal auf die Toilette. Rechts den Gang runter und dann links, wies mir Schöngeist den Weg. Ich ließ mir beim Pissen Zeit und atmete ein paar Mal tief durch, bevor ich wieder zurückging. Schon merkwürdig, auf einem Klo tief durchzuatmen, kein besonders erbaulicher Ort dafür. Aber dann musste ich an die arme May denken. Ich war immerhin noch am Leben, konnte wenigstens noch atmen.
Schöngeist nahm das Verhör wieder auf. Er verlangte genaue Angaben über den geschäftlichen Anruf an jenem Abend. In welcher Beziehung ich zu dem Anrufer stünde, um was für eine Angelegenheit es ginge, warum ich nicht gleich zurückgerufen hätte, wieso ich so lange Urlaub machte, ob ich mir das finanziell leisten könne, ob ich eine Steuererklärung eingereicht hätte und so weiter. Auch er wollte alles bis ins letzte Detail wissen und nahm langwierig sämtliche Antworten in akkurater Schrift zu Protokoll. Ob sie das wirklich alles für sinnvoll hielten, konnte ich nicht beurteilen. Für sie war es vermutlich eine ganz alltägliche Handlung. Kafkaesk. Oder sie wollten mich zermürben und zogen diese unsägliche bürokratische Prozedur mit Absicht in die Länge, um die Wahrheit aus mir herauszuquetschen. Dann leisteten sie jedenfalls gute Arbeit. Ich war so erledigt und genervt, dass ich auf alles antwortete. Ich wollte nur einfach so schnell wie möglich raus.
Es war bereits elf, und sie zeigten noch immer kein Erbarmen. Zumindest war kein Ende in Sicht. Gegen zehn hatte Fischer den Raum verlassen und kehrte erst eine Stunde später zurück. Er hatte anscheinend ein Nickerchen gemacht, denn seine Augen waren leicht gerötet. Er las sich die Notizen durch, die während seiner Abwesenheit geschrieben worden waren, und löste Schöngeist ab. Der brachte drei Becher Instantkaffee. Noch dazu mit Zucker und Kaffeeweißer. Junkfood.
Ich hatte es satt.
Um halb zwölf erklärte ich ihnen, ich sei zu erschöpft, zu müde, um noch weiterzusprechen.
»Ach was«, sagte Schöngeist völlig perplex, wobei er seine verschränkten Finger knacken ließ. »Hören Sie, die Angelegenheit eilt. Ihre Aussagen sind nun mal sehr wichtig für die Ermittlungen. Es tut mir leid, aber Sie müssen schon noch ein bisschen durchhalten, damit wir die Sache zu Ende bringen können.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Fragen von Bedeutung sind«, wandte ich ein. »Offen gesagt, erscheint mir das alles völlig belanglos.«
»Nun, Belanglosigkeiten erweisen sich unter Umständen später als äußerst bedeutsam. Zahlreiche Fälle sind auf diese Weise schon gelöst worden. Nur mit Hilfe nebensächlicher Fakten. Es gab auch welche, bei denen wir diese kleinen Details nicht beachtet hatten und es hinterher bereuten. Immerhin haben wir es mit einem Mord zu tun. Ein Mensch ist gestorben. Wir nehmen das sehr ernst. Sie müssen schon noch ein wenig Geduld aufbringen, so leid es mir tut. Wir können nämlich auch anders und Sie als Kronzeuge unter Arrest stellen, aber das würde die Prozedur für uns alle noch mehr erschweren. Verstehen Sie? Das würde eine Menge Papierkram erfordern, und dadurch geriete die gesamte Prozedur ordentlich ins Stocken. Also lassen Sie uns die Sache friedlich erledigen. Wenn Sie uns dabei behilflich sind, dann bleiben Ihnen solche drakonischen Maßnahmen erspart.«
»Wenn Sie müde sind, können Sie unten im Kabuff ein Nickerchen machen«, schaltete sich Fischer ein. »Vielleicht fällt Ihnen ja noch mehr ein, wenn Sie ausgeschlafen sind.«
Ich nickte. Es war überall besser als in dieser verqualmten Räucherhöhle. Fischer führte mich durch einen düsteren Korridor und dann eine noch dunklere Treppe hinunter zu einem anderen Korridor. Es war ein unheilverkündender Ort. Das, was er als Kabuff bezeichnet hatte, war in Wirklichkeit eine Zelle.
»Das sieht mir aber ganz nach einer Zelle aus«, sagte ich mit einem sarkastischen Lächeln. »Falls ich mich nicht irre, meine ich.«
»Was anderes haben wir nicht, tut mir leid«, sagte Fischer.
»Jetzt mal ohne Scherz, ich gehe nach Hause und komme morgen wieder.«
»Keine Angst, die Tür bleibt offen«, sagte Fischer. »Ich bitte Sie, stehen Sie diesen einen Tag durch. Eine Zelle ist doch wie ein ganz normales Zimmer, wenn man sie nicht verschließt.«
Mir wurde es zu viel, noch stundenlang zu argumentieren. Ich gab auf. Eine unverschlossene Zelle war tatsächlich bloß ein Raum. Ich war
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