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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Vernünftiges essen.
    »So«, sagte Fischer und trommelte sich beim Strecken auf die Hüften. »Zeit zum Mittagessen.«
    »Da Sie ja nun keine Fragen mehr haben, kann ich wohl nach Hause gehen«, erklärte ich.
    »Ich fürchte, das wird nicht möglich sein«, sagte Fischer zögernd.
    »Wieso denn nicht?«, fragte ich zurück.
    »Sie müssen das Protokoll noch unterzeichnen.«
    »Na schön, dann unterzeichne ich es eben.«
    »Zuvor müssen Sie es sich aber noch durchlesen, um die Richtigkeit des Inhalts zu prüfen. Wort für Wort. Das ist äußerst wichtig.«
    Also las ich mir den Papierstoß von etwa vierzig vollgekritzelten Seiten aufmerksam durch. Während der Lektüre kam mir der Gedanke, dass ein derartiges Manuskript eventuell zweihundert Jahre später Aufschluss über heutige Sitten und Gebräuche geben würde. Kleinkrämerisch und pedantisch in pathologischem Ausmaß. Ein wahrer Glücksfund für die Forschung. Die Enthüllung der täglichen Gewohnheiten eines großstädtischen Junggesellen von vierunddreißig Jahren. Nicht gerade eines durchschnittlichen Exemplars, aber eines Kindes seiner Zeit. Aber es jetzt hier im Vernehmungszimmer lesen zu müssen, machte mich missmutig. Es nahm eine gute Viertelstunde in Anspruch. Endlich fertig! Jetzt brauchte ich es nur noch zu unterzeichnen, und dann nichts wie weg. Ich klopfte den Papierstoß gerade und sagte ihnen, ich hätte keine Einwände.
    »Alles okay. Ich werde es dann unterzeichnen, wenn Sie mir bitte sagen, wo.«
    Fischer spielte mit seinem Kugelschreiber und sah zu Schöngeist hinüber. Schöngeist fischte sich eine Zigarette aus der Short-Hope-Packung, die auf dem Radiator lag, zündete sie an und betrachtete grimassierend den Rauch. Mir schwante Schreckliches. Die Pferde liegen im Sterben, und aus der Ferne ertönt eine Trommel.
    »So einfach geht das aber leider nicht«, sagte Schöngeist gedehnt. Es war der Tonfall eines Profis, der einem Laien eine Erklärung vorkaut. »Dieses Dokument, sollten Sie wissen, muss nämlich in Ihrer eigenen Handschrift verfasst sein.«
    »In meiner eigenen Handschrift ?«
    »Ganz recht. Wir müssen Sie deshalb bitten, alles noch einmal abzuschreiben. Eigenhändig. Sonst wäre es nicht rechtskräftig.«
    Ich starrte auf den Stapel Papier. Mir fehlte die Energie, wütend zu werden. Wie gern wäre ich jetzt aus der Haut gefahren und hätte lauthals gebrüllt: Das darf nicht wahr sein! Ich wollte auf dem Tisch herumtrommeln und sie anschreien, dass sie kein Recht dazu hätten, ich sei schließlich ein vom Gesetz geschützter Bürger. Ich wollte mich erheben und schnurstracks nach Hause gehen, denn ich wusste genau, sie hatten nicht die Befugnis, mich aufzuhalten. Aber ich war einfach zu erledigt. Zu müde, um etwas zu unternehmen. Zu erschöpft, um zu protestieren. Stattdessen neigte ich eher dazu, alles zu tun, was sie von mir verlangten. Das war bequemer. Ich bin ein Schwächling geworden. Müde und schwach. Früher war das nicht so. Früher wäre ich ernstlich aufgebraust. Über all das Zeug – das Junkfood, den Qualm, den Elektrorasierer. Es stört mich inzwischen nicht mehr. Ich bin älter geworden. Müde und schwach.
    »Keinesfalls«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. »Ich bin zu kaputt. Ich will jetzt nach Hause. Das ist mein gutes Recht. Niemand kann mich aufhalten.«
    Schöngeist gab einen undefinierbaren Laut von sich, der wie ein Aufstöhnen oder ein Gähnen klang. Und Fischer hob den Blick zur Decke, während er mit der Kulispitze wechselnde Rhythmen auf die Tischplatte hämmerte: tontonton-ton, tonton-tonton-ton.
    »Sie machen die Sache nur unnötig kompliziert«, sagte Fischer trocken. »Na schön. Wenn Sie das wollen, machen wir eben vom Haftbefehl Gebrauch. Solange die Untersuchungen laufen, können wir Sie unter Arrest stellen. Dann geht es aber nicht mehr so gemütlich zu. Meinetwegen, für uns ist das sogar günstiger. Hab ich Recht?«, wandte er sich fragend an Schöngeist.
    »Tja, das würde die Dinge vereinfachen. Schreiten wir zur Tat«, stimmte ihm Schöngeist zu.
    »Wie’s beliebt«, sagte ich. »Aber bis der Haftbefehl erlassen wird, bin ich frei. Wenn es so weit ist, können Sie mich von zu Hause abholen. Hauptsache, ich kann jetzt gehen. Hier kriege ich nämlich Depressionen.«
    »Wir können Sie aber vorübergehend festnehmen, bis der Haftbefehl erlassen wird«, sagte Schöngeist. »Juristisch ist das möglich.«
    Ich war kurz davor, sie danach zu fragen, wo im Grundgesetz das

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