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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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stünde, aber meine Kräfte waren aufgezehrt. Obwohl ich genau wusste, dass sie blufften, konnte ich mich nicht dazu aufraffen.
    »Na schön«, gab ich nach. »Ich werde tun, was Sie von mir verlangen. Darf ich mal telefonieren?«
    Fischer reichte mir den Apparat. Ich meldete mich noch einmal bei Yuki.
    »Ich bin immer noch auf dem Polizeirevier. Es scheint sich noch bis abends hinzuziehen. Deshalb wird es heute nichts mehr. Tut mir leid.«
    »Du steckst immer noch da?«, rief sie entgeistert. »Ja. Es ist idiotisch«, kam ich ihr zuvor.
    »Das ist doch nicht normal«, erwiderte sie. Es gab noch eine Reihe von anderen Möglichkeiten, sich darüber zu äußern.
    »Was machst du gerade?«, fragte ich sie.
    »Nichts Besonderes«, erwiderte sie. »Ich lungere herum. Liege auf dem Bett und höre Musik. Blättere in den Zeitschriften, die hier rumliegen, esse Kuchen und so weiter.«
    »Hm«, sagte ich. »Ich rufe dich an, sobald ich hier raus bin.«
    »Ich hoffe, du kommst raus«, sagte Yuki tonlos.
    Die beiden Polizeibeamten spitzten erneut die Ohren, aber auch diesmal dürfte es wenig aufschlussreich für sie gewesen sein.
    »Tja, Zeit zum Mittagessen«, sagte Fischer.
    Es gab Soba. Die Nudeln waren verkocht und hingen schlaff von den Stäbchen, wie breiige Hospitalkost. Sie verströmten den Geruch einer unheilbaren Krankheit. Aber die beiden verschlangen sie mit Genuss, und ich tat es ihnen nach. Anschließend servierte Schöngeist seinen bewährten lauwarmen Tee.
    Der Nachmittag zog sich träge dahin wie ein tiefer, schlammiger Fluss. Das Ticken der Uhr war das einzige Geräusch im Raum. Hin und wieder hörte man das Telefon im Nebenzimmer läuten. Ich tat nichts als schreiben, schreiben und nochmals schreiben. Die beiden Polizeibeamten machten indessen abwechselnd Pause. Manchmal gingen auch beide auf den Korridor und flüsterten miteinander. Schweigend ließ ich den Stift über das Papier gleiten. »Um viertel nach sechs beschloss ich, mir etwas zum Abendessen zu machen, und holte zuerst Konyaku aus dem Kühlschrank …« Was für eine Zeitverschwendung. Ich bin schwach geworden , sagte ich mir. Total schwach geworden. Ich spure. Leiste keine Widerrede.
    Aber das ist nicht alles. Zweifellos bin ich etwas geschwächt. Doch das größte Problem besteht darin, dass ich kein Selbstvertrauen besitze. Deshalb kann ich mich nicht durchsetzen. Ist es eigentlich richtig, was ich tue? Sollte ich nicht besser aussagen und die Ermittlungen unterstützen, anstatt Gotanda zu decken? Ich sage die Unwahrheit. Welche Art von Lüge das auch sein mag, es macht mir ein schlechtes Gewissen. Auch wenn es für einen Freund geschieht. Was ich auch tue, nichts würde May wieder lebendig machen. Das kann ich mir zumindest einreden. Auf diese Weise überrumpele ich mich selbst. Ich schaffe es bloß nicht, Widerstand zu leisten. Also schwieg ich und schrieb weiter. Bis zum Abend hatte ich zwanzig Seiten voll. Das stundenlange Kritzeln ging auf die Knochen. Mein Handgelenk war lahm. Der Ellenbogen wog schwer wie Blei. Mein rechter Mittelfinger pochte vor Schmerzen. Ich war derart benommen, dass ich mich andauernd verschrieb. Dann musste ich das Wort durchstreichen und mit einem Fingerabdruck als Fehler kennzeichnen. Es war zum Verrücktwerden.
    Am Abend gab es wieder die übliche Lunchbox. Ich hatte kaum Appetit. Beim Tee rebellierte mein Magen. Als ich auf der Toilette in den Spiegel schaute, bot sich mir ein grauenhafter Anblick. »Was machen die Ermittlungen?«, fragte ich Fischer. »Immer noch keine Fingerabdrücke, Indizien oder Autopsieergebnisse?«
    »Noch nicht«, antwortete er. »Das dauert.«
    Um zehn Uhr hatte ich noch fünf Seiten vor mir, aber mein Limit war erreicht. Ich konnte kein einziges Wort mehr zu Papier bringen und sagte es ihnen auch. Fischer führte mich abermals nach unten in die Zelle. Ich schlief sofort ein. Ohne mir die Zähne zu putzen, ohne mich auszuziehen. Mir war alles egal.
    Am nächsten Morgen verpasste ich mir wieder eine Elektrorasur, trank Kaffee und aß Croissants. Für die restlichen fünf Seiten brauchte ich zwei Stunden. Dann unterzeichnete ich Blatt für Blatt und setzte meinen Fingerabdruck darunter. Schöngeist überprüfte alles.
    »Bin ich damit entlassen?«, fragte ich.
    »Nachdem Sie uns noch ein paar Fragen beantwortet haben, ja«, antwortete Schöngeist. »Keine Angst, ganz simple Fragen. Nur der Vollständigkeit halber.«
    Ich seufzte. »Das bedeutet natürlich weiteren Papierkram, nicht

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