Tanz mit dem Teufel
Sachen Margashack. Ich hab den verrückten Spinner schon ewig nicht mehr gesehen, nur läuten hören, dass er irgendwie in der Scheiße steckt. Was nun wirklich nichts Neues ist. Meistens reitet er sich aus purer Langeweile selber rein. Er fehlt mir.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Vor fünf, sechs Jahren. Bin ihm ausgerechnet auf dem Bauernmarkt in West Hollywood über den Weg gelaufen. Hätte mir fast die Rippen gebrochen. Eine von Jerrys berühmten Schraubstockumarmungen. Davor hatte ich ihn jahrelang aus den Augen verloren. Obwohl wir uns natürlich fest vorgenommen hatten, in Verbindung zu bleiben. Er hat es immerhin versucht, aber ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich ihn abgewimmelt habe.«
»Warum?«
»Schwer zu sagen. Ich glaube, es lag am Alter. Eines Morgens bin ich aufgewacht und wusste, ich bin alt. Die sogenannten ›besten Jahre‹ hatte ich glatt übersprungen. Aber Jerry war nicht gealtert. Jerry ist das ewige Kind, der unheilbare Lausbub, der nur deswegen den Finger in den Zuckerguss steckt, weil man es ihm verboten hat. Ein existenzialistischer Peter Pan, der Chaos stiftet, um sich seiner selbst zu vergewissern. Und er hatte eine mystische Ader. Ich hab ihn immer den verrückten Mönch genannt. Man sieht es seinen Filmen an, sie sind alle von einer Samurai-Ethik durchzogen. Darum haben wir uns ja auch auf Anhieb so gut verstanden. Wir lagen auf einer Wellenlänge. Ich habe meditiert, Jerry hat gesoffen. Er nannte es ›flüssige Erleuchtung finden‹. Wir haben ein paar gute Kämpfe ausgefochten, gegeneinander und gegen die Banausen. Ich hab ihm Malas gegeben, ihm einmal sogar ein Mantra beigebracht. Hätte ich mir schenken können. Allerdings soll er wohl in letzter Zeit einen Rosenkranz mit sich rumtragen. Ausgerechnet. Vielleicht hat er Gott gefunden.« Der Gedanke schien ihn zu amüsieren.
»Halten Sie das für möglich? Wäre er der Typ dafür?«
»Wissen Sie, was Jerrys Problem ist? Dass er ein schlechter Katholik ist. Schon immer.«
»Sie meinen, gläubig, aber ohne seinen Glauben zu praktizieren?«
»Nein, nein«, sagte Tollund. »Wir reden hier schließlich über Jerry und nicht über einen normalen Menschen, bei dem man immerhin noch die Chance hätte, ihn zu verstehen. Jerrys Wege sind unergründlich. Der verrückte Mönch, der dunkle Mystiker. Jerry glaubt weder an Gott noch an den Himmel. Er glaubt an kein einziges christliches Konzept, außer an die Schuld. Und zwar an Schuld ohne Erlösung. Das Motiv findet sich ebenfalls in seinen Filmen. Einer wie der andere ein gewaltiges Macho-Epos über einen Mann, der versucht, irgendeine Schuld zu begleichen.«
»Aber bei wem?«
»Das ist genau der springende Punkt. Jerry führt sich auf wie jemand, der ein schreckliches Verbrechen begangen hat und vergeblich nach einem Polizisten sucht, dem er sich stellen kann. Er lässt sich absichtlich etwas zuschulden kommen, um sich eine Strafe abzuholen. Das ist das Gefährliche an ihm. Wenn Sie das kapiert haben, haben Sie kapiert, wie Jerry Margashack tickt. Es ist anstrengend. Anstrengend und traurig. Ich bin immer gern mit ihm in eine gerechte Schlacht gezogen, aber früher oder später hat er es aus lauter Verbohrtheit jedes Mal geschafft, einen verdammten Kreuzzug daraus zu machen. Nur, weil er Blut sehen wollte, und sei es sein eigenes. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Jerry hat so etwas an sich. Man folgt ihm bedingungslos in den Kampf und wirft für ihn sein Leben weg.«
»Erging es Ihnen auch so?«
»In Grenzen. Man fühlt sich ausgenutzt. Mit Jerry und den Frauen war es genau das gleiche Spiel – ist es vermutlich bis heute. Am Anfang war er Feuer und Flamme, total verliebt, als hätten sich die Himmel aufgetan und die Engelein sängen. Bis es irgendwann kippte und sich ins Gegenteil verkehrte. Dann hat er den Frauen und sich selbst das Leben zur Hölle gemacht. Jerry konnte das wegstecken, die Frauen nicht. Sie waren Wracks, wenn er sie abserviert hat. Sie haben mit Vicky geredet? Die stand sogar auf Bestrafung. Die ganze Beziehung war darauf aufgebaut. Man konnte regelrecht darauf warten, wer wen zuerst umbringt. Vicky war hart im Nehmen. Dass Jerry was mit dieser Asiatin angefangen und sie verlassen hat, war das Beste, was er für sie tun konnte. Hoffentlich hat sie inzwischen einen besseren Geschmack, was Männer angeht.«
»Die Geschichte wiederholt sich«, sagte Spandau.
»Ein Jammer. Ja, die Menschen halten sich am liebsten an Altbekanntes. Wir sind
Weitere Kostenlose Bücher