Tanz mit dem Tod (19) - Robb, J: Tanz mit dem Tod (19) - Visions in Death (19)
irgendwie unglücklich aus.«
Es hatte eine Zeit gegeben, in der hätte sie auch diesen Satz mit einem Schulterzucken abgetan. Inzwischen aber waren sie und Mira sich dafür zu vertraut. »Es hat sich herausgestellt, dass diese Seherin eine Freundin von Louise Dimatto ist. Die beiden sind alte Freundinnen. Deshalb musste ich mit Louise über sie sprechen. Sie hat heute Dienst im Frauenhaus.«
»Ah.«
»Das ist einer dieser üblen Psychologen-Tricks. Ah.« Sie stellte ihre Tasse fort, stand auf und stapfte, während sie mit ein paar losen Münzen in ihrer Hosentasche klimperte, unruhig durch den Raum. »Und er funktioniert. Roarke hat dort wirklich Erstaunliches geleistet, das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, warum er das Haus gegründet hat. Teilweise hat er dabei bestimmt an sich als Kind gedacht. Er wurde schließlich selber ziemlich viel herumgeschubst. Und er hat es für mich getan, wegen der Dinge, die ich durchmachen musste, als ich ein kleines Mädchen war. Vor allem aber hat er es unserer beider wegen getan. Aus Dankbarkeit für das, was aus uns inzwischen geworden ist.«
»Aus Ihnen beiden gemeinsam.«
»Himmel, ich liebe ihn mehr als … es ist einfach unglaublich, wie viel man für einen Menschen empfinden kann. Aber obwohl ich weiß, was er dort geschaffen hat, obwohl ich weiß, wie wichtig es ihm ist, dass ich Anteil daran habe, habe ich es bisher vermieden, mir das Haus von innen anzusehen.«
»Glauben Sie, dass er das nicht versteht?«
»Das Verständnis, das er für mich hat, ist nicht weniger unglaublich als das, was ich für ihn empfinde. Dochas ist ein guter Ort, Dr. Mira, und der Name passt genau. Aber trotzdem war mir hundeelend, als ich dort war. Ich habe mich richtiggehend krank gefühlt. Mir war nicht nur speiübel, sondern ich habe obendrein wie Espenlaub gezittert und hatte eine Heidenangst. Ich wollte nur noch raus, fort von all den Frauen mit ihren blauen Flecken, fort von all den Kindern mit ihren hilflosen Gesichtern. Eins von ihnen hatte einen gebrochenen Arm. Eins der Kinder. Ein Mädchen, vielleicht sechs. Ich kann das Alter von Kindern nicht gut schätzen.«
»Eve.«
»Ich habe gespürt, wie der Knochen gebrochen ist. Habe es gehört. Und ich habe meine ganze Willenskraft gebraucht, um nicht vor ihr auf die Knie zu sinken und zu schreien.«
»Und dafür schämen Sie sich?«
Ob sie sich dafür schämte? Sie war sich nicht ganz sicher. Empfand sie deshalb heiße Scham, kalten Zorn oder ein hässliches Gebräu aus beidem? »All das ist schon so lange her, dass ich langsam darüber hinweggekommen sein müsste.«
»Warum?«
Eve drehte sich zu Mira um und starrte sie mit großen Augen an. »Nun … darum.«
»Es ist ein riesengroßer Unterschied, ob man über eine Sache hinwegkommt, wie Sie es formulieren, oder ob man sie bewältigt«, erklärte Mira brüsk. Sie wäre am liebsten aufgestanden, um Eve tröstend in den Arm zu nehmen, doch das wäre weder angemessen gewesen, noch hätte Eve Verständnis für die Geste gehabt. »Sie haben die Erlebnisse in Ihrer Kindheit überlebt, haben sich ein eigenes, glückliches Leben aufgebaut und vieles mehr. Sie haben Ihre Probleme also längst bewältigt. Aber niemand kann verlangen, dass Sie je darüber hinwegkommen, dass Sie als kleines Mädchen gequält, geschlagen, vergewaltigt worden sind. Wenn Sie das von sich verlangen, verlangen Sie viel mehr von sich, als Sie je von einem anderen Menschen verlangen würden, Eve.«
»Es ist ein guter Ort.«
»Und an diesem guten Ort haben Sie ein Kind gesehen, das jemand anderes versucht hat zu brechen. Das hat Ihnen wehgetan. Aber Sie sind nicht davongelaufen, sondern haben sich dem Kind und Ihrer eigenen Erinnerung gestellt.«
Seufzend nahm Eve wieder Platz. »Peabody hat etwas davon mitbekommen. Als wir wieder draußen waren, hat sie die Freundin rausgekehrt und mir angeboten, dass ich mich bei ihr ausheulen kann. Und wie habe ich darauf reagiert?«
»Sie haben ihr den Kopf abgerissen, nehme ich an«, stellte Mira mit einem leichten Lächeln fest.
»Ja. Ich habe ihr erklärt, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und mich, verdammt noch mal, in Ruhe lassen soll.«
»Sie werden sich bei ihr entschuldigen.«
»Das habe ich bereits getan.«
»Sie arbeiten zusammen, Sie sind beruflich eine Einheit. Auch außerhalb der Arbeit sind Sie beide inzwischen gut
befreundet. Vielleicht überlegen Sie sich ja, ob Sie ihr nicht zumindest einen Teil erzählen.«
»Ich
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