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Tanz mit mir - Roman

Tanz mit mir - Roman

Titel: Tanz mit mir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon Sina Hoffmann
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richtig selbstsüchtige Kuh. Ich hätte Rosie niemals zurücklassen dürfen, selbst wenn sie mich immerzu an Tony erinnert hätte. Vielleicht war es gut so, dass Tony und sie keine Kinder bekommen hatten.
    Vielleicht.
    Sie seufzte tief, ging ins Haus zurück und brachte all ihren Mut auf, um die Kiste zu öffnen.
    Sie war am Morgen geliefert worden, doch Angelica hatte sich nicht dazu überwinden können, sie unmittelbar zu öffnen. Jetzt wusste sie jedoch, dass sie sich der Aufgabe stellen musste. Sie mixte sich einen Gin Tonic, um Mut zu fassen, das braune Klebeband zu entfernen und die vielen Lagen der Luftpolsterfolie beiseitezuziehen. Zwei Männer hatten die große, schwere Kiste ins Wohnzimmer geschleppt. Auf ihr befanden sich immer noch die Aufkleber des Lagerzentrums, wo die Kiste seit mehr als zehn Jahren aufbewahrt worden war.
    »Was ist denn da drin, Lady? Eine Leiche?«, hatte einer der jungen Männer gescherzt und so getan, als habe er sich den Rücken verrenkt.
    Angelica hatte lachen müssen, da sich auf gewisse Art und Weise tatsächlich eine Leiche in der Kiste befand: die alte Angelica nämlich – in Form der bunten, mit funkelnden Glitzersteinen
besetzten Kleider, die wie eine zweite Haut für sie gewesen waren und in denen sie getanzt hatte. Sie hatte beiden Transporteuren jeweils einen Zwanziger in die Hand gedrückt, bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte und darauf bestanden hätte, dass sie die Kiste wieder mitnähmen.
    Fast ihr gesamtes Leben war eingelagert, und Angelica hatte es kaum vermisst. Regale voller Erinnerungen waren einfach nicht ihr Stil. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie in Jerrys ausladende Villa gezogen war, hatte sie in diversen winzig kleinen Studios oder Einzimmerwohnungen in Soho gelebt, in denen kaum Platz genug gewesen war für einen Schrank, geschweige denn für einen Dachspeicher. Jedes Mal, nachdem ein Lebensabschnitt beendet gewesen war, hatte sie alles eingepackt, was sie als Erinnerungsstück nicht mehr herumliegen haben wollte, und hatte es eingelagert. Ihre ersten Jahre als Tänzerin in London, ihr Leben mit Tony, die Tanzwettbewerbe, ihre Ehe – alles befand sich in Kisten. Sie wollte zwar nicht an die Vergangenheit erinnert werden, brachte es aber auch nicht übers Herz, alles wegzuschmeißen. Auf diese Weise gehörte die Vergangenheit ihr, was etwas völlig anderes war, als selbst der Vergangenheit anzugehören, wie Angelica fand.
    Nun fühlte sie sich zum ersten Mal bereit, sich für einen guten Zweck zu häuten und die Haut zu akzeptieren, die sie die ganze Zeit über besessen hatte. Außerdem befand sich in dieser Kiste etwas, was sie unbedingt haben wollte.
    Angelica schenkte sich den letzten Schluck Gin Tonic ein, stellte das schwere Glas auf den Tisch und schob die letzte Schicht Luftpolsterfolie beiseite.
    Der vertraute stechende Geruch von Kleidern aus der chemischen Reinigung, gemischt mit dem Duft ihres Parfums, stieg ihr in die Nase, als sie das erste Kleid aus der Kiste zog. Es war ihr rotes Tanzkleid, das sie im ersten Jahr ihrer professionellen
Laufbahn getragen hatte. Das Kleid war äußerst filigran, aber dennoch sehr schwer, da es mit Hunderten von rubinroten Steinen besetzt war, die wie leckende Flammen das Mieder verzierten. Die langen flatternden Chiffonärmel hatten wie Engelsflügel ausgesehen, als Tony mit ihr zu den weichen, eleganten Figuren des Walzers und des Foxtrotts über die Tanzfläche geschwebt war. Angelica hob das Kleid in die Höhe, um es in seiner vollen Länge betrachten zu können. Der Rock war glockenförmig und so geschnitten, dass er sich in einer Art Wolke hob, wenn sie sich drehte. So gab der Rock den Blick frei auf ihre schmalen Knöchel und die Füße, die in den passenden Tanzschuhen aus purpurrotem Satin steckten.
    Angelica erinnerte sich wieder, dass auch diese Schuhe mit Glitzersteinen besetzt waren: Kleine Rosen aus funkelnden Steinen schmückten die Schuhspitzen.
    Allein nur dieses Kleid in Händen zu halten bewirkte, dass ihre Füße am liebsten sofort losgetanzt hätten wie damals, als sie noch fünfundzwanzig und vollkommen unerfahren gewesen war.
    Danach hast du nicht gesucht, ermahnte sich Angelica streng und legte das Kleid vorsichtig über das schmale Sofa.
    Das nächste Kleid stammte zwar aus der gleichen Zeit, war jedoch für die lateinamerikanischen Tänze geschneidert worden. Das Oberteil war weit ausgeschnitten und der Rock deutlich kürzer, um die schnellen, koketten Beinbewegungen zu

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