Tanz mit mir - Roman
zeigen. Angelica seufzte bewundernd, als sie über den glänzenden scharlachroten Satin und den angeschrägten Rocksaum strich, dessen lange Fransen mit schwarzen Perlen verziert waren. Die schräge Seite reichte fast bis zu ihrer Hüfte hoch, und statt Ärmel betonten scharlachrote Spangen ihre schlanken Arme, wenn sie diese um Tonys Hals schlang oder sie sich in den auffallenden Latinbewegungen bog.
Jedermann war der Meinung, dass Tony und sie für die lateinamerikanischen
Tänze geboren waren; sie beide hatten schwarze Haare und waren gleichermaßen stürmisch, mit langen Gliedmaßen und schwingenden Hüften. Zwar waren sie gute Standardtänzer – Angelica besaß die nötige Anmut, um die ein wenig förmlich wirkenden europäischen Tänze mühelos wirken zu lassen -, doch die leidenschaftlichen lateinamerikanischen Rhythmen verliehen ihren Schritten ein geradezu magisches Feuer, als ob ihre Füße den Boden mit jeder Berührung versengten.
Andererseits drehte es sich bei den lateinamerikanischen Tänzen um nichts anderes als um Sex, dachte Angelica. Und das war bei ihr und Tony nicht anders gewesen. Weder die verruchten Blicke noch die verführerischen Berührungen waren vorgetäuscht gewesen wie bei vielen ihrer Konkurrenten. Anfangs hatte Angelica die Mädchen bemitleidet, die die große Leidenschaft auf dem Tanzparkett vortäuschen mussten, da ihre Partner abseits der Tanzfläche schnell allen Glanz verloren. Doch letztlich hatte sie zugeben müssen, dass, wie bei der tiefen Sonnenbräune, die alle zur Schau stellten, alles nur künstlich zu halten der bei Weitem sicherste und ungefährlichste Weg war.
Angelica zog ein kurzes, sehr schmal geschnittenes Kleid aus der Kiste, in dem sie immer Samba getanzt hatte. Dieses Kleid war goldfarben und das Mieder mit silbernen Blumen verziert. Statt eines richtigen Rückenteils gab es nur Silberketten. Eitel, wie Tony war, hatte er dazu ein passendes silbernes Hemd getragen. In diesem Kostüm war es ihnen gelungen, einen nationalen Titel zu gewinnen. Ihr Vater hatte das Kleid als ein »Hauch von nichts« bezeichnet, nachdem sie ihren Eltern die Fotos geschickt hatte, doch davon hatte Angelica erst im letzten Jahr erfahren, als ihre Mutter in Erinnerungen geschwelgt und Angelica an ihrer Seite diese Jahre noch einmal durchlebt hatte.
Angelica blieb das Herz beinahe stehen, als sie das Kleid
in ihren zitternden Händen hielt. Der Umstand, dass sie nun tatsächlich einen Stoff anfasste, machte alles viel lebendiger, als eindimensionale Fotos anzuschauen. Es war, als sei der Kleiderstoff eben nicht nur mit altem Schweiß, Rauch, Bodylotion und dem Geruch des Empress Ballrooms in Blackpool getränkt, sondern ebenso sehr mit Erinnerungen durchsetzt. Angelica spürte wieder die Schmerzen in ihren Waden und Zehen sowie den Glücksrausch und den Triumph der letzten Pose, die besagte: »Wir haben gewonnen!«.
Wenn sie damals gewusst hätte, dass dies ihr letzter Tanz mit Tony sein würde, hätte sie das Kleid niemals in die Reinigung gegeben. Sie hätte es stattdessen behalten, wie es war – mit seinen Fingerabdrücken, dem heißen Atem und seinem Aftershave, das dem Kleid damals anhaftete.
Angelica durchstöberte den restlichen Inhalt der Kiste und legte ein Kleid nach dem anderen auf das Sofa, bis dieses über und über mit Netzstoff, Pailletten und flatterndem Chiffon bedeckt war – meist in leuchtenden Rotschattierungen: Tomate, Scharlachrot und Karminrot. Die Kiste war riesengroß, dennoch enthielt sie nur sieben ihrer prächtigen, aufwendigen Kleider. Angelica wusste, dass sie noch mindestens zehn weitere eingelagert hatte, die einige Tausend Pfund wert waren. Sie hatte immer schon mehr Kleider als jede andere Tänzerin besessen, und diese Kleider waren stets mit weitaus mehr Glitzersteinen und Perlen verziert und insgesamt außergewöhnlicher gewesen als die Kleider anderer Tänzerinnen. Andererseits hatte Angelica aber auch immer weniger gegessen als die anderen, war weniger ausgegangen und hatte beinahe jeden Penny, den sie verdient hatte, für Kleider und Schuhe ausgegeben.
Sie war sich sicher gewesen, dass irgendjemand für alles andere sorgen würde. Doch Angelica hatte es sich zur eisernen Regel gemacht, dass sie – und nur sie – die traumhaften Kleider bezahlte, in denen sie auftrat.
Das letzte Kleid in der Kiste war das, wonach sie gesucht hatte: ihr Lieblings-Tangokleid.
Na ja, korrigierte sie sich, als sie über die perlenverzierten schmalen
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