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Tanz mit mir - Roman

Tanz mit mir - Roman

Titel: Tanz mit mir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon Sina Hoffmann
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Schulterträger strich. Es war ihr Lieblingskleid zumindest für Tangowettbewerbe.
    Ihr tatsächliches Lieblingskleid hatte sie beim Tango Argentino mit Tony getragen. Das war ihr eigener Tanz gewesen, ihr ganz privater Tanz, der nicht zur Bewertung stand und den sie in heißen Tango-Salons tanzten. Der Tango Argentino glich eher einer Mischung aus Vorspiel und Kampf als einem Tanz. Dieses Kleid hatte Tony geliebt: Es war schlicht, hauteng und sexy. Es kam vollkommen ohne die grellen, auffälligen Verzierungen aus, die unter dem Schein der schonungslosen Scheinwerfer und den kritischen Blicken der Wettkampfrichter unverzichtbar waren.
    Dieses Kleid hier war das offizielle Kleid, das sie bei Tangovorführungen im ganzen Land sowie bei ein oder zwei kleineren Tanzwettbewerben getragen hatte. Allerdings verzieh es nichts, und selbst damals schon hatte sich jede ihrer Rippen unter dem Kleid abgezeichnet. Bei jedem noch so kleinsten Anzeichen von PMS-bedingtem Anschwellen brauchte sich Angelica erst gar nicht mehr die Mühe zu machen, sich in das enge, am Rücken geschnürte Kleid zu quetschen. Es war schräggeschnitten, bestand aus rabenschwarzem Satin und verfügte über einen engen Rock, der am Oberschenkel hochgeschlitzt war, um die geschmeidigen Schritte des Tangos zu ermöglichen. Angelica hatte damals darauf bestanden, dass ihre Schneiderin – eine geduldige Frau, die in Tooting wohnte und die fieberhaften Ansprüche halb verhungerter Tänzerinnen schon zur Genüge kannte – das Kleid mit einem blutroten Satinstoff fütterte, damit die rote Farbe bei dramatischen Drehungen immer wieder aufblitzte.
    Das rote Futter war ihre Art, ein wenig die Stimmung des heißen, leidenschaftlichen Tango Argentino in die starre,
steife Zeremonie des Wettbewerbs-Tangos einzubringen. Die Europäer mit ihren Smokings und den vornehmen Tanztees mochten vielleicht die Ecken und Kanten abgerundet und die Schritte formalisiert haben, bis der Tanz nur noch eine glatte, gezähmte Nachahmung der lateinamerikanischen Version war. Doch die heimlichen karminroten Farbtupfer waren ihr Zeichen für Tony, dass sie sehr wohl wusste, was eigentlich hinter den zackigen Kopfdrehungen und der geraden Armhaltung steckte.
    Angelica seufzte, als sie den Stoff in Händen hielt. Einerseits hätte sie die Kleider gern anprobiert, da sie fast immer noch die gleiche Figur hatte wie zu ihren besten Wettbewerbszeiten. Andererseits hatte sie aber Angst davor, zu sehen, wie viel sich in ihrem Gesicht verändert hatte.
    Das richtige Kleid konnte so unendlich viel bewegen. Es veränderte nicht nur den Tanz selbst, sondern schlichtweg alles . Die Magie der Pailletten, Glitzersteine und der raffiniert geschnittenen Röcke verliehen einem den nötigen Hauch von Glanz und Glamour, sozusagen den VIP-Pass für die bunte Farbfilmwelt, in der alle Blicke auf einem ruhten. Man war einfach nicht mehr die Person, die man im Alltagsleben war, wenn man einen winzigen Satinfetzen trug, der nur von einem Stück hautfarbenem Stoff gehalten wurde, sodass es für die Zuschauer so aussah, als würde das Kleid allein von der Luft und dem rasanten Tempo der Schritte gehalten. Man bewegte sich nicht mehr schwerfällig oder machte einen krummen Rücken, wenn bei jeder einzelnen Bewegung Hunderte von Pailletten aufleuchteten und einem langer Chiffon um die Beine wehte. Man war nicht nur in seiner eigenen Vorstellung Cyd Charisse oder Ginger Rodgers, sondern sah tatsächlich aus wie sie. Sogar die Musik war dieselbe, die auch schon für diese berühmten Tänzerinnen gespielt worden war. Das Kleid, der Tanz und die Musik – alles gemeinsam bedeutete, dass in den drei Minuten auf der Tanzfläche ein Tagtraum
wahr wurde, wenn man in den Armen des Tanzpartners lag und mit den Knien seine Oberschenkel streifte. Man verwandelte sich in eine wahre Traumfrau, und der eigene Tanzpartner wurde in dieser Zeit zu dem Mann, den man nur aus den romantischsten Träumen kannte.
    Angelica wollte Katie eines ihrer Wettbewerbskleider leihen. Sie wusste, dass es die Art, wie Katie sich selbst sah, von Grund auf verändern würde. Außerdem hoffte sie, dass Katie begreifen würde, dass das Ende des Feminismus noch nicht nahe war, nur weil sie die Frauenschritte tanzte.
    Katie tat Angelica ganz einfach leid. Sie war die einzige Frau, die sie je unterrichtet hatte, die zur zweiten Stunde nicht in ihrem schönsten Kleid erschienen war. Im Gegensatz zu allen anderen trug sie jede Woche das gleiche schlichte

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